Full text: Meisterwerke österreichischer Barockkunst

der alles umfassenden Vision: hauchdünne Lavierungen, die sich bald 
zu dunkler Farbigkeit vertiefen, bald das Spiel der Formen zitternd um 
kräuseln, erhöhen den überwirklichen Gehalt der Vorgänge im Himmel 
und auf der Erde. Kreide, Feder, Pinsel und mitunter auch farbig ge 
fönte Papiere lassen die Formen jäh verschweben, fragmentieren sie 
und steigern ihren elementaren Äusdrucksgehalf im dramatischen Spiel 
der Kontraste. 
Gemäß der Vielfalt künstlerischer Bestrebungen, die der kaiser 
liche Machtwille in der Wiener Akademie sich zu pflegen vornahm, 
spiegeln auch Handzeichnung und Radierung alle jene Gattungen wider, 
die der Epoche geläufig waren. Seifers „Apotheose Leopold I.“, Schup 
pens „Porträt Karl VI.“ und Francesco Parisis „Übergabe Belgrads“ 
dokumentieren ebenso wie die gezeichneten Ärchifekfurprojekte Fischer 
von Erlachs und Hildebrandfs für die Wiener Hofburg die fruchtbare 
Bindung der Künste an das Kaiserhaus, welches durch die Sicherung 
des Staates nach innen und außen eine neue künstlerische Blütezeit 
hieraufführen half. 
Überblickt man das vielgestaltige Entwicklungsbild der barocken 
Handzeichnung in Österreich, so nimmt man ein kontinuierliches Forf- 
schreifen von den schweren und kompakten Formen des italienischen 
Hochbarock zu deren äußerster Vergeistigung wahr. Mehr und mehr 
lassen des Künstlers Äusdrucksmittel seine Eigenwilligkcit frei hervor- 
trefen, verlieren an deskriptiver Ausführlichkeit um so der Darstellung 
neue Tiefen des Ausdrucks zu gewinnen. Die Feder beschränkt sich auf 
Andeutungen, konzentriert allen Gehalt oftmals im kühn gewählten Frag 
ment und läßt in höchster subjektiver Freiheit die Formen sich zu 
sammenballen und versprühen. Der damit bezeichnefe Höhepunkt der 
Entwicklung wird am besten in den Zeichnungen und dem vollständig 
ausgestellten Radierwerk des Franz Anton Maulberfsch veranschaulicht. 
Blickt man von seiner radierten „Allegorie des Tierkreises“ auf die 
Wandbildentwürfe Roffmayrs zu den „Vier Elementen“ zurück, dessen 
Werk einen der Ausgangspunkte der hier angedeuteten Tendenz bildet, 
so erkennt man unschwer trotz der Vcrschicdenarfigkeit der künstleri 
schen Technik, wie hier eine verwandte Gesfalfungsart von einer weiten 
Spanne geschichtlicher Entwicklung getrennt wurde, Roffmayrs Kunst, 
der eine kraftvolle Synthese aus flämischem und italienischem Hoch 
barock gelang, arbeitet mit allen Illusionsmitteln um den Eindruck sinn 
licher Leibhaftigkeit zu erwecken. Die ringend verflochtenen Gestalten 
des Maulberfsch jedoch empfangen ihr Leben von geheimnisvollen Kräf 
ten, gewinnen Gestalt aus brodelnden Raumgründen, die sie grell über 
schatten oder aus jäh auf strahlenden Licht quellen hervorbrechen lassen. 
Der bei Rotfmayr noch geschlossenen Form steht bei Maulberfsch eine 
io m gegenüber, die dem All zu geöffnet ist, eine erregt atmende, 
spontan improvisierte Form, die oft einem elementaren Ausbruch gleicht 
ein gespenstisches Furioso aus Hell und Dunkel, welches alle Er 
scheinungsformen von innen her belebt und ins Bizarre steigert. 
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