Full text: XCV. Ausstellung der Vereinigung bildender Künstler Wiener Secession - Meisterwerke englischer Malerei aus drei Jahrhunderten. Veranstaltet vom Verein der Museumsfreunde in Wien und der Vereinigung bildender Künstler Wiener Secession mit Unterstützung der Anglo-Austrian Society in London

    
   
   
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
  
      
     
EINFÜHRUNG 
von Dr. FRANZ OTTMANN, 
Schriftführer des „Vereins der Museumsfreunde in Wien“ 
Die neuere englische Kunst war ganz besonders von der Gefahr 
bedroht, die über allen Nachgeborenen schwebt. Als das Land, das eine 
reiche Kunst des Mittelalters hinter sich hatte, nach langem Schlafe 
wieder eigene Künstler hervorbrachte, hatte inzwischen das übrige Europa 
seine Renaissancekunst durchlebt und stand mitten im Barock. Wollte 
man diese Entwicklung in Eilschritten nachholen, so war es unvermeidlich, 
daß man zu mehr oder weniger erlernbaren Rezepten griff. Alles das, 
was besonders Meier-Graefe! gegen Reynolds und Turner einwendet, er- 
klärt sich aus dieser durch die Verspätung gegebenen Zwangslage. Aber 
Reynolds hat doch die Porträtkunst durch die imposante Gewalt seiner 
Männergestalten, die bestechende Anmut seiner Frauen, namentlich aber 
durch die frische Lebendigkeit seiner Gruppen bereichert. Und Turner 
hat der Welt eine Vision sondergleichen geschenkt. 
Die Akademie (gegründet 1768) machte hier wie allerwärts aus den 
Resultaten ein System, das den werdenden Maler an der Schwelle 
empfing und ein Netz über ihn warf. Jede Auflehnung wurde damit 
immer schwieriger. Um so bewundernswerter ist es, daß doch gerade in 
England dieses System und damit Barock und Rokoko durchbrochen 
und der Weg zu einer neuen, der Kunst des ı9. Jahrhunderts, gebahnt 
wurde. Auch nicht mit einem Schlage. Hogarth hat durch seine scharfe 
Verhöhnung der Porträtmaler, die er „portrait manufacturers“ nannte, 
} gleichsam ein Loch geschlagen und durch seine sichere Erdhaftigkeit 
| den Weg gewiesen. Die frühe Hinwendung zum frischen, luftigen Aquarell 
| schürfte weiter, Wilson und Gainsborough tasteten über Claude Lorrain 
    
  
1 Jul. Meier-Graefe, Die großen Engländer. München, Piper, 1908.
	        
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