EINFÜHRUNG
von Dr. FRANZ OTTMANN,
Schriftführer des „Vereins der Museumsfreunde in Wien“
Die neuere englische Kunst war ganz besonders von der Gefahr
bedroht, die über allen Nachgeborenen schwebt. Als das Land, das eine
reiche Kunst des Mittelalters hinter sich hatte, nach langem Schlafe
wieder eigene Künstler hervorbrachte, hatte inzwischen das übrige Europa
seine Renaissancekunst durchlebt und stand mitten im Barock. Wollte
man diese Entwicklung in Eilschritten nachholen, so war es unvermeidlich,
daß man zu mehr oder weniger erlernbaren Rezepten griff. Alles das,
was besonders Meier-Graefe! gegen Reynolds und Turner einwendet, er-
klärt sich aus dieser durch die Verspätung gegebenen Zwangslage. Aber
Reynolds hat doch die Porträtkunst durch die imposante Gewalt seiner
Männergestalten, die bestechende Anmut seiner Frauen, namentlich aber
durch die frische Lebendigkeit seiner Gruppen bereichert. Und Turner
hat der Welt eine Vision sondergleichen geschenkt.
Die Akademie (gegründet 1768) machte hier wie allerwärts aus den
Resultaten ein System, das den werdenden Maler an der Schwelle
empfing und ein Netz über ihn warf. Jede Auflehnung wurde damit
immer schwieriger. Um so bewundernswerter ist es, daß doch gerade in
England dieses System und damit Barock und Rokoko durchbrochen
und der Weg zu einer neuen, der Kunst des ı9. Jahrhunderts, gebahnt
wurde. Auch nicht mit einem Schlage. Hogarth hat durch seine scharfe
Verhöhnung der Porträtmaler, die er „portrait manufacturers“ nannte,
} gleichsam ein Loch geschlagen und durch seine sichere Erdhaftigkeit
| den Weg gewiesen. Die frühe Hinwendung zum frischen, luftigen Aquarell
| schürfte weiter, Wilson und Gainsborough tasteten über Claude Lorrain
1 Jul. Meier-Graefe, Die großen Engländer. München, Piper, 1908.