großen Problematiker, er macht heute in Schieles Bildern
einen wesentlichen Bestandteil aus. Da wir uns das Abgegrenzte,
Einheitliche in seinem höchsten Ausmaß nicht erdenken können,
weil jedes Ende die Vorstellung eines Anfangs zu neuer
Steigerung erweckt, vermittelt uns das Unvollendete, besser
Endlose am stärksten die Unermeßlichkeit des Raums:
verstümmelte Pfeiler mit gewaltigen Basen, schwarze Dächer
von unsinniger, nutzloser Steilheit, pathetisch ausschweifende
Voluten, die in winzige Dachreiter münden. Derlei Motive,
unendlich variiert, in immer neue, wunderbare Gruppen gefaßt,
häufen sich zu Schieles „Alten Städten“. Diese Städte stehen
so rein, so unberührt von den häßlichen Zufallswucherungen
eines kunstlosen Alltags da, wie sie nur in der Vorstellung
eines Ungewöhnlichen existieren oder; in Wirklichkeit existierten,
hätte die Menschheit in ihrer Evolution sich und ihrer Hände
Arbeit immer lauter gehalten, das pflanzenhafte Wachstum
von Gerät und Haus nicht durch Selbstbetrug vergiftet. Weit
muß man zurückgreifen, um jenes Dunkle, Unwirkliche, und
doch sehr Reale, Eindringliche der stummen, schlafenden Städte
wiederzufinden, bis auf die Vlämen des XV. Jahrhunderts, da
die Kirchtürme niedriger, die Stundenbücher zierlicher wurden
und stiller Frühdämmer in grauer Klarheit die Dinge der
Kunst umrieselte, vor dem Nahen der Renaissance. Schiele
machte sich nicht als Eklektiker die naiven Umrisse biblischer
Maler zu eigen. So entquoll es seinem Fühlen, so hat er es
hingesetzt. Das verwitterte „Stein“ bot ihm Anregung, die
er selbständig verarbeitete. Die fremde wirkliche wurde
zu seiner, zur unwirklichen Stadt. Mögen gar viele Reste
der Vergangenheit noch in unseren Tagen dauern, so glocken-
tiefe Farben wie Schieles Giebelwände tragen keine. Furcht-
samen Kindern gleich drücken sie sich aneinander, die Firste
verschwimmen zu schützendem, nächtlichem Mantel, runde Lucken
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