Reiters Lebensgeschichte ist die Lebensgeschichte eines Künstlers,
dem sein Milieu zum Schicksal wurde. Er hat nie jemanden
gefunden, der die in ihm wirksamen schöpferischen Werte ver-
standen und gefördert hätte. Seinen relativen Erfolg verdankte
er mehr oder weniger einem Mikverständnis: man hielt sich an die
gefällige Außenseite und übersah die seelische Hintergründigkeit
seines Künstlertums, soweit sie nicht eben als abschreckendes Mo-
ment Kritik herausforderte.
Das früheste Bild der Ausstellung ist ein kleines Selbstbildnis an
der Staffelei von 1835 — eine starke Talentprobe, sicher und' frisch
hingesetzt und seinem Gehalt nach Dokument eines seiner Sendung
tief bewußten Künstlertumes. Das 1836 datierte Bildnis einer alten
Dame ist ein Stück qualitätvoller, wenn auch etwas ängstlicher
Biedermeiermalerei, das bereits in einer gewissen Sprödigkeit den
Beginn persönlicher Auffassung der Wirklichkeit verrät. Angeplich
um 1845, aber wahrscheinlich 10 Jahre früher, dürften die Brust-
bilder seiner Eltern entstanden sein, die wiederum eine auffallende
Herbheit, ja sogar einen unmittelbar an die Unbeholfenheit von
Bauernmalereien erinnernden, ausdrucksstarken Stil zeigen. Da sind
die große und wie geschnitzte Hand des Vaters, die schwer auf dem
Brustaufschlag des Rockes liegt, oder die goldene Linzerhaube der
Mutter, die dem streng frontal gesehenen Antlitz etwas Fromm-Feier-
liches verleiht — Archaismen, wie man sie auf primitiven Votiv-
bildern im Gebirge sieht. Aber das Ganze ist doch bereits in- das
Niveau bewußter Künstlerleistung erhoben. Eine genrehafte Figuren-
studie einer Bäuerin aus dem Jahre 1839 verdient wegen ihrer reali-
stischen Auffassung und feinen Farbigkeit Beachtung. Das Bildnis
der Frau Magdalena Ess! aus dem Jahre 1839 zeigt schon eine freiere
malerische Haltung bei sichtlichem Festhalten der spröden en face-
Darstellung des Kopfes in der plissierten Haube. Reiter beginnt eine
neuartige koloristische Haltung herauszubilden, die aus dem Rahmen
der damaligen Kunst herausfällt: einer Skala von kühl grauen, nach
gelbbraun gebrochenen Tönen, in denen als Akzente Schwarz und
Rosa auftreten. Wieder ein Jahr später, 1840, ist das früheste Selbst-
bildnis der Ausstellung entstanden: ein Kopf von eigentümlicher Be-
seeltheit und Tonigkeit, dessen malgrische Handschrift bereits glatter
und dünner wird.
1841 malt Reiter ein biblisches Gemälde, „Die drei Jünglinge im
Feuerofen”. Er hatte schon 1835 für die katholische Pfarrkirche: von
Scharten Altarbilder geliefert. Das biblische Bild von 1841 ist durch-
aus nazarenisch — ein Abweg von seiner eigenen Linie, den Reiter
sichtlich sofort wieder verlassen hat. Er mußte spüren, daß ihm die
Ziele der Nazarener fremd waren. Seine natürliche Sinnlichkeit
konnte sich der frommen Zaghaftigkeit dieser Gruppe nicht einfügen,
und sein Sinn für das Lebendige widersprach der Forderung nach
Unterordnung unter ‚einen historischen Stil. Der Versuch mißlang; das
biblische Bild wirkt trotz feiner Details gequält und starr.