Full text: Lustige Gesellschaft in einer Gondel. Anton Romakos Englandreise im Sommer 1873 und ihre Folgen (Curator's Choice, Nr. 7, 2024)

MARKUS FELLINGER CURATOR‘S CHOICE 
# 7 / 2024 
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Abendrot22 oder irisierenden Lichteffekten im Gebirgsnebel.23   
Sogar die Anregung zur völlig in Dunst und Rauch verschwindenden 
Szenerie in den Gemälden Tegetthoff in der Seeschlacht bei Lissa 
könnte darauf zurückgeführt werden.24 
Neben dem Rokoko und Turner lässt sich in Lustige Gesellschaft   
in einer Gondel noch eine dritte wichtige Inspirationsquelle aus   
England ausmachen, nämlich die Präraffaeliten. Mit diesen verbinden 
Romako die romantische, individualistische Grundhaltung, das Interesse 
an Poesie und Märchen und schließlich die Suche nach neuen Formen 
der Historienmalerei abseits der akademischen Normen. Romako sah 
während seines Aufenthalts sicherlich Werke von Vertretern der   
Gruppe, zum Beispiel in der großen Ausstellung der Royal Academy 
oder im Kunsthandel Agnew & Sons.25 Romakos Gastgeber selbst war 
mit John Everett Millais bekannt, von dem er in späteren Jahren unter   
anderem die Hauptwerke Ein Hugenotte (1851/52), Mariana (1851)   
und Ferdinand Lured by Ariel (1850) erwarb.26 
Auch das Gemälde Lustige Gesellschaft in einer Gondel atmet den 
Geist der Präraffaeliten und wirkt trotz des Rokoko-Motivs sehr modern. 
Besonders der Profilkopf der jungen Frau, die rechts im Vordergrund des 
Bootes sitzend dargestellt ist, erinnert stark an Köpfe bei Dante Gabriel 
Rossetti oder Edward Burne-Jones.27 Romako geht jedoch vor allem im 
koloristischen Raffinement über alle Vorbilder von seiner englischen Reise 
hinaus. Die Komposition der Figurengruppe als Arrangement bunter Farb- 
flecken lässt bereits die aktuellen Theorien der Décadence-Ästhetik des   
19. Jahrhunderts in ausgereifter Form erkennen, die für sein Spätwerk von 
großer Bedeutung waren.28 Theoretiker wie Désiré Nisard, Paul Bourget 
oder Friedrich Nietzsche charakterisieren Décadence-Kunst als einen Stil, 
der den brillanten Einzeleffekt über das große Ganze stellt, die einzelnen 
 Teile herauslöst, um ihren sinnlichen Reiz zu steigern, und der virtuosen 
Anwendung der künstlerischen Mittel gegenüber Naturwahrheit oder 
klassischen Idealen den Vorzug einräumt.29 Als Paradebeispiel für eine 
dekadente Gesellschaft kurz vor dem Niedergang wurde das Rokoko mit 
seiner leichtlebigen, raffinierten Kultur identifiziert, dessen Kunst eben- 
falls moralischen und ästhetischen Idealismus zugunsten von Koketterie 
und oberflächlichem Reiz geopfert habe.30 In diesem Sinn kann Romakos 
Lustige Gesellschaft in einer Gondel als aktueller Beitrag des Künstlers 
zu den ästhetischen Diskussionen seiner Zeit verstanden werden. 
21 Ralph Nicholson Wornum, Descriptive and Historical Catalogue of the Pictures in the National Gallery: British School, London 1869, S. 122–154. Weitere Arbeiten, 
  hauptsächlich Aquarelle und Grafiken, waren im South Kensington Museum ausgestellt: A Guide to the Art Collections of the South Kensington Museum, London 
  1870, S. 76, 80, 88. 
22 Reiter 2010 (wie Anm. 3), WVZ-Nrn. 468, 509, 513. 
23 Reiter 2010 (wie Anm. 3), WVZ-Nrn. 378, 380. 
24 Reiter 2010 (wie Anm. 3), WVZ-Nrn. 392, 468. 
25 Agnew & Sons Picture Stockbooks, National Gallery, London, Inv.-Nr. NGA27/1/1/4, Bd. 1871–74, J. E. Millais, Nr. 7915: Day Dreams, Nr. 8034: First Sermon,   
Nr. 8037: Stella, Nr. 8044: Second Sermon, Nr. 8077: Vanessa; W. Holman Hunt, Nr. 8060: Saviour in the Temple. 
26 John Guille Millais, The Life and Letters of Sir John Everett Millais, President of the Royal Academy, Bd. 1, London 1899, S. 83, 109. Sowohl Makins als auch Millais 
  planten zum Zeitpunkt von Romakos Aufenthalt den Bau ihrer neuen Häuser an den Adressen Palace Gate Nr. 2 und 8, wo sie ab 1875/76 als Nachbarn lebten. 
27 Marianne Hussl-Hörmann / Hans-Peter Wipplinger (Hg.), Anton Romako. Beginn der Moderne / The Beginning of Modernism (Ausst.-Kat. Leopold Museum, Wien), 
  Köln 2018, S. 156 (Ralph Gleis). 
28 Markus Fellinger, „Dekadenz – Zersetzung und Auflösung als formale Konzepte in der Kunst des Symbolismus“, in: Agnes Husslein-Arco / Alfred Weidinger (Hg.), 
  Dekadenz. Aspekte des österreichischen Symbolismus (Ausst.-Kat. Belvedere, Wien), Wien 2013, S. 17. 
29 Fellinger 2013 (wie Anm. 28), S. 12 – 17.   
30 Roger Bauer, Die schöne Décadence, Frankfurt am Main 2001, S. 157 – 177.
	        
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