Full text: Rauchen als Zeitvertreib und feministische Geste. Zu Sarah Lucas' Portable Smoking Area (Curator's Choice, Nr. 16, 2024)

ANDREA KOPRANOVIC CURATOR‘S CHOICE 
# 16 / 2024 
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rger, Genuss, Lust, Selbstzerstörung und Zeitvertreib sind un- 
mittelbare, assoziative Zugänge, die uns die Arbeit Portable Smoking 
Area der britischen Künstlerin Sarah Lucas eröffnet. Nur wenige Ele- 
mente werden für diese Bandbreite von Assoziationen benötigt: unter 
anderem ein Freischwinger, überzogen mit abgesessenem und aufge- 
platztem rotem Leder. Seine Beine aus gebogenen Stahlrohren haben 
bereits erste Patina und etwas Rost angesetzt. Dahinter steht ein rot 
lackiertes Gestell, dessen Unterbau auf vier kleinen Rollen sitzt. Daran 
ist eine an einer Seite offene hölzerne Box befestigt, deren Position 
mithilfe von zwei Eisengewichten fixiert wird. Die Gewichte sind unter- 
schiedlich schwer, das eine zwei Kilogramm, das andere sieben Pfund 
(ca. 3,2 kg). Sie sind mit Bindfäden angebracht, was provisorisch wirkt. 
Das Innere der Holzbox ist ähnlich notdürftig mit braunem Kreppband 
austapeziert und wird von einer etwas trostlos wirkenden Neonröhre 
illuminiert. Deren dünnes weißes Stromkabel führt weg von der Skulptur, 
hin zu einer Energiequelle, die die Arbeit mit dem Raum verbindet.   
Tatsächlich wirken die einzelnen Teile bei genauerer Betrachtung in   
ihrer Gesamtheit wie zwei Protagonisten, die sich in einer vertrauten 
Beziehung zueinanderneigen: Der Stuhl und seine „Haube“ umrahmen 
eine Leere, die für ihre Aktivierung einen verbindenden Körper herbei- 
sehnt. Die potenzielle Funktion des Objekts als mobile Raucher*innen- 
kabine erschließt sich entsprechend sofort, es stellen sich jedoch in der 
Folge Fragen nach dem Verhältnis zu möglichen Benutzer*innen und zur 
übergeordneten Bedeutung als Kunstwerk. 
Sarah Lucas, die als kanonisierter Teil der Young British Artists 1 seit 
dem Ende der 1980er-Jahre kontinuierlich einen eigenständigen Weg 
geht, arbeitet mit einem Set wiederkehrender Motive. Lebensmittel wie 
Eier, Gurken, Melonen und ein Kebab finden sich darunter genauso wie 
Matratzen, Stühle, Strümpfe, Toiletten und Zigaretten. Ihre Installatio- 
nen, Fotografien und Skulpturen sind oft ironisch und sexuell aufgela- 
den, greifen Stereotype von Geschlechtlichkeit und Identität auf und 
an und loten in direkter Manier Grenzen aus. Es ist eine unpersönliche 
Arbeitsweise, die ihr Werk charakterisiert. Die Objekte bewegen sich 
zwischen utilitaristischem und künstlerischem Anspruch und tragen per 
se in ihrer antiillusionistischen, Tatsachen freilegenden Funktion keine 
Handschrift in sich 2 – so auch Portable Smoking Area. 
1 Die Bezeichnung young British artists (kurz YBA) entstand sukzessive in Folge der bedeutsamen Ausstellung Freeze, die 1988 vom britischen Künstler Damien 
  Hirst und seinen Kommiliton*innen organisiert wurde. Zum damaligen Zeitpunkt Studierende am Goldsmiths College in London, luden sie zahlreiche Kolleg*innen 
  ein, Arbeiten in dieser dreiteiligen Ausstellung zu zeigen, darunter Angela Bulloch, Ian Davenport, Tracey Emin, Angus Fairhurst, Michael Landy und Sarah Lucas 
  Die Ausstellung, die in Lagerhallen an der Themse stattfand, bildet aus heutiger Sicht den umstrittenen Anfang der losen Gruppierung. Es folgten rasch drei   
weitere gemeinsame Ausstellungen in unterschiedlichen Konstellationen, alle im Jahr 1990: Modern Medicine, Gambler und East Country Yard Show, die letzt- 
  genannte organisiert von Henry Bond und Sarah Lucas. Ihren Ruhm verdanken die YBA aber nicht zuletzt dem Kunstmäzen und Sammler Charles Saatchi, der in 
  den frühen 1990er-Jahren Arbeiten von Damien Hirst, Sarah Lucas, Marc Quinn und anderen ankaufte, sie ausstellte und so die individuellen Karrieren beförderte. 
  Richard Stone, „From ‚Freeze‘ to House: 1988 – 1994“, in: Sensation. Young British Artists from the Saatchi Collection (Ausst.-Kat. Royal Academy of Arts, London), 
  London 1997, S. 12–15; Carl Freedman, „Space“, in: Zdenek Felix (Hg.), Emotion. Junge britische und amerikanische Kunst aus der Sammlung Goetz / Young British 
  and American Art from the Goetz Collection (Ausst.-Kat. Deichtorhallen Hamburg), Ostfildern-Ruit 1998, S. 70 – 78; Gregor Muir, „It Must be a Camel (For Now)“, 
  in: ders. / Clarrie Wallis (Hg.), In-A-Gadda-Da-Vida. Angus Fairhurst, Damien Hirst, Sarah Lucas (Ausst.-Kat. Tate Britain, London), London 2004, S. 90 – 95.   
2 Jan van Adrichem, „Things that have to come about“, in: Sarah Lucas (Ausst.-Kat. Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam), Rotterdam 1996, S. 5–7.
	        
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