ANDREA KOPRANOVIC CURATOR‘S CHOICE
# 16 / 2024
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Der Titel (zu Deutsch Tragbarer Raucher*innenbereich) deutet eine
Möglichkeit zur Benutzung an und liest sich beinahe wie eine Hand-
lungsanweisung. Das Berühren des Objekts im musealen Kontext sowie
das Rauchen im Innenbereich öffentlicher Gebäude sind untersagt
und verweisen so exakt auf Lucas’ humorvollen Umgang mit gesell-
schaftlichen Normen. Insbesondere wenn man die Entstehungszeit der
Arbeit beachtet, nämlich die 1990er-Jahre, als das Rauchen im Innen-
raum zur Norm gehörte. Während im Vereinigten Königreich noch bis
2007 das Rauchen in der Öffentlichkeit und in Innenräumen Teil des
Gesellschaftslebens war, 3 griff die Gesetzgebung in Österreich in zwei
Tranchen: Bereits 1995 wurde das sogenannte Nichtraucherschutzge-
setz, jedoch erst 2009 ein teilweises und 2015 ein vollständiges Rauch-
verbot in der Gastronomie eingeführt. 4 Rauchen war somit zur Zeit
der Entstehung der Arbeit noch allgegenwärtig, die mitteleuropäische
Übergangslösung der „Rauchergondel“ – einer ausrangierten Skigondel,
umfunktioniert zur Kabine für Raucher*innen – noch ein Stück entfernt. 5
Lucas’ Arbeit wirkt in dieser Hinsicht beinahe visionär. Was sie aber der
eigenen Vorstellungskraft überlässt, ist der Akt des Rauchens selbst,
der hier als Lücke evident wird. Skulpturen, aber auch Installationen und
Fotografien, die aus einzelnen Zigaretten bestehen oder das Rauchen
wie selbstverständlich thematisieren, sind im künstlerischen Œuvre
der späten 1990er- und frühen 2000er-Jahre zahlreich vertreten. 6
Das Rauchen ist dabei an die Person der Künstlerin geknüpft, die vor
allem die zeitlichen und räumlichen Dimensionen des Vorgangs interes-
sieren. Zur Entstehung dieser Arbeiten sagt Sarah Lucas selbst: „I start-
ed on the cigarette things mainly for something to do with my hands
and time, which I seemed to have a lot of when I wasn’t smoking. […]
I often think that smoking is a way of palpably ‚having‘ time. In a similar
way, what we think of as empty space is actually full of bacteria, gas,
‚stuff‘ of various kinds. Making art is making things manifest.“ 7
Als wiederkehrendes Symbol phallischen Treibens und eines Lebens-
stils, der mittlerweile von den Selbstoptimierungsstrategien unserer
Gegenwart abgerückt ist, spiegelt die Zigarette als Leitmotiv jedoch
nicht nur persönliche Präferenzen der Künstlerin, sondern auch ein so-
ziokulturelles Verständnis der Zeit und der Umstände, die sie nachhaltig
prägten. Im Jahr 2000 kulminiert die Phase der Arbeit mit Zigaretten
in einer für Lucas wichtigen Einzelausstellung in der Londoner Galerie
Sadie Coles HQ mit dem Titel The Fag Show. Im Pressetext zu The Fag
Show führt Lucas aus, sie habe mit neun Jahren mit dem Rauchen be-
gonnen. In dem obsessiven Verhalten, Zigarettenskulpturen zu fertigen,
3 Erste Bekenntnisse seitens der Regierung gab es bereits Ende der 1990er-Jahre, das Gesetz wurde 2014 zum Schutz von Kindern ein weiteres Mal ausgeweitet.
Siehe dazu ASH Fact Sheet, „Smokefree Legislation“, 2020, https://ash.org.uk/resources/view/smokefree-legislation (zuletzt besucht am 9. 11. 2023).
4 Eine gute Übersicht bietet folgender Artikel: Lucia Marjanovic / Matthias Dechant / Christian May u. a., „Eine unvollständige Geschichte der Rauchverbote in
Österreich“, in: Addendum, Mai 2018, https://www.addendum.org/rauchen/rauchverbote/ (zuletzt besucht am 26. 9. 2022).
5 Annika Stähle, „‚Eine kleine Beziehungskiste‘. Geschäftsmodell Rauchergondel“, in: Süddeutsche Zeitung, Mai 2010,
https://www.sueddeutsche.de/muenchen/geschaeftsmodell-rauchergondel-eine-kleine-beziehungskiste-1.337143 (zuletzt besucht am 9. 11. 2023).
6 Zu den bekannten Beispielen der frühen Zigarettenarbeiten zählen Nature Abhors a Vacuum (1998), It Sucks (1999), Idealised Smokers Chest #1 – #4
(1999 – 2000), Nobby (2000), Dreams Go up in Smoke (Kerang!) (2000), Drag-On (2003), Thank You and Good Night (2003); Yilmaz Dziewior / Beatrix Ruf (Hg.),
Sarah Lucas. Exhibitions and Catalogue Raisonné 1989 – 2005 (Ausst.-Kat. Kunsthalle Zürich; weitere Stationen: Kunstverein Hamburg; Tate Liverpool),
Ostfildern-Ruit 2005, S. 148 – 179.
7 Beatrix Ruf, „Conversation with Sarah Lucas“, in: Dziewior/Ruf 2005 (wie Anm. 6), S. 30.