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Paul Gauguin
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Wien
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Herrn Dr. Rudolf Adal,
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Alfred REICHERT in
Paris sprechen für die tat-
kräftige Förderung dieser
Ausstellung unseren wärm-
DO sten Dank aus. 0
EEE ‘n..... NE EEEELEEETHRIEEEEEEEEEELCELDN,
PAUL GAUGUIN.
GO tsame Gestalten, unheimliche Gespenster huschen durch eine ge-
heimnisvolle Nacht, indes der Schläfer sich unruhig und gequält
hin- und herwirft. Am nächsten Morgen ist der Traum verflogen, wir
reiben uns die Augen und sehen dem klaren, logischen Licht des Tages
entgegen. Klar und logisch verläuft der Tag, eine Tätigkeit entwickelt
sich gesetzmäßig aus der andern. So bauen wir Stunden, Tage, Jahre
konsequent und sicher auf; und nur dann und wann durchzuckt uns
ein Gedanke an die großen Schatten jener Nacht. Doch wir wollen
nicht an sie glauben, wir erkennen keinen Herrn über uns, haben wir
doch unser Leben selber gebaut und in sich gefestigt. Wir glauben,
daß wir bis an unserer Tage Ende eine schnurgerade, glatte Bahn vor
uns haben. Da auf einmal taucht eine der Schattengestalten, die wir
damals in dunkler Nacht gesehen, wieder vor uns auf. Ihre Stimme
weckt Widerhall in unserem Herzen, eine unendliche Sehnsucht
erfüllt uns, über die wohlgeordnete, platte Alltäglichkeit hinaus”
zudringen und die Tiefen des Daseins zu erforschen. Immer mächtiger
wird die Stimme, Kräfte, die wir in unserem Innern längst ent-
schlummert wähnten, erweckt sie; immer reicher und glückspendender
wird dieser Trieb, von dem wir doch zugleich wissen, daß er uns dem
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: Abgrunde näher bringt. Wir kehren uns von dem materiellen, sicheren
: Glück ab und folgen zuerst tastend, dann immer leidenschaftlicher den
: Chimären, die einstmals in unserer halbunbewußten Kindheit ihre
strengen Häupter über unsere Wiege gebeugt hatten. Führen sie uns
ins Glück oder Unglück? Wir wissen es nicht, wir müssen nur folgen.
O0) Das ist eine Legende, die man den seltsamen Holzschnitten Paul
Gauguins beiheften könnte, die er in Tahiti mit kunstfertiger Hand
preßte. Das ist das Bild eines Schicksals, das sich in Gauguins Leben
verwirklichte. do
DO Es war einmal ein Bankbeamter, der im Hause Bertin, rue Laffitte
zu Paris angestellt war. Er unternahm auch auf eigene Rechnung Ge-
schäftsoperationen und das Glück lächelte ihm. Er gewann Tausende.
Er war glücklich verheiratet und hatte Kinder. Er bewohnte ein üppig
eingerichtetes Häuschen in der Vorstadt und man speiste bei ihm auf
Silbergeschirr. Sein Leben schien für immer gefestigt, sein Vermögen
mußte stets wachsen, die äußeren Ehren konnten nicht ausbleiben und
vielleicht hätte er seine Tage als Ritter der Ehrenlegion und als Pariser
Munizipalrat beschlossen, wie der frühere Bewohner seines Hauses,
Alles war klar, sonnig, heiter. 0
DO Doch die Gestalten, die seine Jugend beschattet hatten, sie kamen
wieder. In Paul Gauguins Adern — denn niemand anders als er ist
der glückliche Börsenmann — rollte unruhiges Blut. Seine Eltern
hatten die Zeit von 1848 miterlebt. Der Vater kämpfte als Tournalist
gegen die Bourgeois der Julimonarchie und verließ sein Vaterland, als
der Staatsstreich von 1851 die junge Freiheit gemordet hatte. In dem
Herzen seiner Mutter lebten die phantastischen Bilder und Gestalten
ihrer peruanischen Heimat und die Erinnerung an ihre Mutter, Flora
Tristan, die einst in dem Zukunftsstaat der Saint Simonisten durch
ihre Person und ihre Schriften eine große Rolle gespielt hatte. Das
war eine Abstammung, die nicht zum Bankbeamten bestimmte. Schon
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in früher Kindheit hatten die Instinkte, die Gauguin von seinen Eltern
ererbt hatte, durch einen mehrjährigen Aufenthalt seiner Mutter in
Lima Nahrung gefunden. Dort lernte der Knabe die tropische Welt,
die phantastischen Überlieferungen und Märchen des alten Goldlandes
Peru kennen, erhielt Eindrücke, die durch die altperuanischen Geräte
und Silberfiguren stets wach gehalten wurden, die seine Mutter sorgsam
bewahrte. Dieser ursprüngliche, halbbarbarische Zug im Wesen Gauguins
ist in seinem Charakter immer wieder hervorgetreten und macht einen
Teil seiner Stärke aus. Dieser Zug zum Phantastischen trieb den
jungen Mann auf die See hinaus. Auf einem Schiffe der französischen
Handelsmarine gelangte er abenteuernd wieder nach Südamerika, nach
Rio de Janeiro. Doch die Vernunft siegte und er trat 1871 bei Bertin
ein, wo seine glänzenden Erfolge ihn bald mit Gold überschütteten.
So war er auf dem besten Wege, in die Kaste der reichen Bourgeois
einzutreten, die sein Vater als Mitarbeiter des „National“ bekämpft
hatte. Er begann sogar, Bilder zu kaufen und besaß bald eine stattliche
Galerie, in der Manet, Renoir, Claude, Monet, Cezanne, Pissarro,
Guillaumin und Daumier vertreten waren. Diese Namen müssen be-
denklich stimmen: ein Finanzmann, der zugleich Amateur war, kaufte
damals höchstens Corot und die Schule von Barbizon, Meissonier
nicht zu vergessen. Mit der Zeit begann Gauguin, an der Malerei
solchen Gefallen zu finden, daß er selber Pinsel und Palette zur Hand
nahm. Zuerst schüchterne Versuche: grau, unbedeutend und tonig ge-
malt. Dann näherte er sich den Impressionisten und malte in reinen
Farben Landschaften aus der Umgebung von Paris, tüchtige Bilder,
die auf den verschiedenen Ausstellungen der Impressionisten, in der
rue des Pyramides, und bei Nadar, gleich den anderen ausgestellten
Werken von dem Gros der Kunstkritik bespöttelt und nur von wenigen
fortschrittlich gesinnten Kritikern, wie Feneon, Huysmans und Duret
gewürdigt wurden. Er geriet immer tiefer in die Malerei, und je mehr
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er lernte, um so weitere Horizonte erschlossen sich ihm. Das war
etwas anderes, als täglich von Mittag bis zwei Uhr unter den Kolon-
naden der Pariser Börse Aktien zu handeln. D
DO Die Werke aus jener Zeit verraten, daß Gauguin zuerst Pissarro
nacheiferte. Wie alle Impressionisten hat er das Schwarz, Braun und
Grau von seiner Palette verbannt und arbeitete nur mit hellen, frischen
Farben, die er höchstens mit ihren spektralen Nachbarn gemischt auf
die Leinwand setzte. D
0 Man hat die Impressionisten, die durch gemeinsame Oppositions-
stellung zusammengedrängt worden waren, viel zu sehr als eine Schule
aufgefaßt. In Wirklichkeit vereinen sie die verschiedenartigsten Be-
strebungen. Manet sucht „moderne“ Sujets auf, die er ohne anek-
dotisches Beiwerk wiedergeben will, erst sehr spät fängt er an, plein-
air zu malen. Monet und Pissarro sind jeder auf seine Weise zur
exakten Beobachtung des Lichtes in der Natur gekommen, Renoir
wendet dieselben Gesetze auf den Menschen an und gelangt so zu
einer unerhört intimen Auffassung der Menschen seiner Zeit; in dem
Kreise dieser Künstler lebte endlich ein Künstler, der in den Kampf,
zeiten des Impressionismus am meisten geschmäht wurde, aber von
kommenden Geschlechtern vielleicht am höchsten bewertet werden
wird: Cezanne. Er ist einer der großen Befruchter der Kunst. Die
alten Meister sind seine Lehrer gewesen; nicht um zu malen wie Tizian,
Tintoretto oder der Greco, studierte er sie, sondern um die geheimen
Gesetze des Helldunkels und der Farbenkontraste zu ergründen. Cezannes
Kunst ist 'es, die Valeurs der Erscheinung in Farben zu übersetzen
und die Beziehungen des Hell und Dunkel, des Warm und Kalt, des
Vorwärts und Rückwärts durch fein abgewogene Farbenskalen auszu-
drücken. Seine Bilder stoßen zuerst durch ihre offenbaren Zeichenfehler
ab, die jeder Schulmeister korrigieren könnte, dann aber vernehmen
wir ihren Wohllaut, der nie zu erschöpfen ist. Auch Gauguin ver-
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i dankt Cezanne unendlich viel. Besonders in seinen Stilleben ist dessen i
Einfluß unverkennbar und Gauguin hat ihn nie geleugnet. Gerade in
diesen Stilleben festigt sich zuerst Gauguins Stil: er lernt ein Bild über
die Realität hinausentwickelt als einen restlos ausklingenden Akkord von
Farben und Linien hinzusetzen. Bei seinen Aufenthalten in der Bre-
tagne 1886 und in Martinique (Antillen) 1887 akzentuiert sich dieses
Bestreben nach großen Farbenmassen, das Bestreben, farbig vereinfachte
und doch fein abgestufte Werke zu schaffen.
DD 1888—1890 findet er in wiederholten Aufenthalten in Pont-Aven
in der Bretagne all die Elemente, deren er bedurfte, um das große
Werk seiner späteren Tahitibilder zu schaffen. Sein Stil hatte sich
mit der Zeit immer mehr vereinfacht. Er suchte die unendlichen Ein-
zelheiten der Erscheinung in kühnem Wurf zusammenzufassen, indem
er zuerst die Hauptkontouren mit dünnen, blauen Strichen auf der
Leinwand festsetzte, dann die einzelnen Flächen mit den dominierenden
Farben ausfüllte, um die Leinwand möglichst schnell bedeckt zu be-
kommen; zuletzt baute er die einzelnen Farbengruppen im einzelnen
aus. Gauguin scheute sich durchaus nicht, im Interesse der Harmonie
des Ganzen die einzelnen Farbentöne im Vergleich zur Natur zu über-
treiben. Ein leuchtendes Gelb, ein warmes Lachsrot mit Violett ge-
paart begegnet jetzt immer häufiger. In Anlehnung an die primitiven
Meister wendet er sich von dem naturalistischen Glaubensbekenntnis
seiner Pissarro-Periode vollkommen ab. „Wenn ihr das Meer malen
wollt, kehrt ihm den Rücken zu“. Das ist ein Paradoxon, das sagen
will, daß man nicht mikroskopisch genau sehen darf, wenn man große
Einheiten schaffen will. In der Bretagne vertiefte sich Gauguin in die
mystischen Tiefen der bretonischen Volksseele: der „gelbe Christus“
der Sammlung Fayet, der Kalvarienberg der Sammlung Fabre und
„Jakob und der Engel“ bei Meilheurat zeigen, wie die mystischen Ideen
Gauguins Seele in jener Zeit erfüllten. Doch war für Gauguin die
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Mystik nicht ein Träger ethischer Ideen, wie für van Gogh, sie regte
nur seine Phantasie an. Die Mystik erzählte ihm Märchen, denen er
eifrig lauschte, weil sie ihn in unbekannte, geheimnisvolle Tiefen
führten. DO
OD) Aber das halb zivilisierte, südamerikanische Blut, das Gauguin
von seiner Mutter hatte, verleugnete sich nicht. Die Sehnsucht nach
einer bunten, sinnlichen, phantastischen Welt, nach heißer Sonne und
barbarisch prächtigen Farben hat ihn im Häusermeer von Paris nie
verlassen und sie trieb ihn im Jahre 1891 in die Südsee nach Tahiti.
Seine sich immer schwieriger gestaltende materielle Lage mag den Ent-
schluß” beschleunigt haben. Durch den Verkauf von 30 Bildern, der im
anzen ungefähr 10.000 Fces. einbrachte, deckte Gauguin die Kosten der
berfahrt und der Einrichtung in Tahiti. Bald wurde er heimisch. In
: dem köstlichen Buche Noa — Noa hat Gauguin selbst geschildert, wie
er in dem Farbenrausche der Südsee-Perle wieder auflebt, wie er hier
. seinen Traum eines sorglosen, heiteren, primitiven Naturzustandes ver-
: wirklicht fand. Er kehrte den europäischen Ansiedlungen mit ihren Zoll,
: beamten, Matrosen, Soldaten und Kaufleuten sobald als möglich den
: Rücken und wandte sich in das Innere des Landes, wo er von den Ein-
: geborenen sehr bald wie einer der ihren behandelt wurde. Alle Fesseln
:; der Kultur, die ihm der Inbegriff der Häßlichkeit scheint, fallen von ihm
: ab. Seine Seele wird immer freier und ungebundener, und sein Werk be-
: ginnt, sich von all den Konventionen zu lösen, denen er sich in Europa
: nicht vollkommen entziehen konnte. Seine Farbenharmonien werden
: immer kühner, zugleich lernt er aber die schlanken, geschmeidigen,
: bronzefarbenen Körper der Maoris mit einem Linienrhytmus wiederzu-
: geben, in dem eine schlichte, klassische Größe wohnt. Die Sammlungen
: Fayet und Sainsere in Paris, sowie die des Grafen Kessler bergen die
: bedeutendsten Werke dieser Periode. Zugleich dringt Gauguin immer
: tiefer in die barbarischen und geheimnisvollen Überlieferungen der
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Maoris ein: seine Holzschnitte, die köstlichen, illuminierten Manuskripte
aus jener Zeit, vor allem das von Noa-Noa, sowie die primitiv grandiosen
Holzskulpturen bezeugen dies, 0
DO) Gauguin hatte das Bewußtsein, eine neue, reiche Welt erobert, einen
neuen, künstlerischen Stil gefunden zu haben. Stolz kehrte er 1893 aus
Tahiti zurück. Bei Durand-Ruel stellte er 46 Werke aus, die Frucht
seines Aufenthaltes in der Südsee. Doch fand seine neue Kunst kein
Verständnis, Der materielle Erfolg war ebenfalls nicht der Rede wert.
Gauguin mußte erkennen, daß für ihn in Europa so bald nichts zu
hoffen sein werde. So ließ er 1895 nach einer Zeit voller Mühsale, Ent-
täuschungen und Entbehrungen seine in Paris befindlichen Bilder verstei-
gern und wandte sich wieder nach Tahiti. Doch auch hier fand er
keine Ruhe, da sein reizbarer Charakter ihn von einer Verwicklung
mit den Behörden in die andere führte, 1901 siedelte er nach Domi-
nique, der größten der Marquesas-Inseln, über, wo er in tiefster Zurück-
gezogenheit und leider auch in immer größerer Bedrängnis lebte. Die
einzigen Lebenszeichen, die von ihm nach Europa drangen, waren die
Sendungen von Gemälden und die köstlichen Manuskripte, in denen
er eine Fülle tiefer und großer Eindrücke niedergelegt hat. Er wurde
in Paris zur Legende. Und als er 1903 in großem Elend einer Krank-
heit erlag, die ihn schon lange gequält hatte, waren es nur wenige
getreue Freunde, die den Verlust, den die Kunst in diesem Augen,
blick erlitt, zu würdigen wußten.
0) Unaufhörlich ist seither der Ruhm seines Lebenswerkes gewachsen
und heute ist uns Gauguin einer der großen Künstler, die uns geholfen
haben, aus dem Impressionismus die Elemente einer neuen monumen-
talen Kunst zu entwickeln. Wir bewundern die klassische Linie und
die großzügige Auffassung in seinen Zeichnungen und Bildern aus der
Tahiti-Periode. Er ist einer der Künstler, die uns den Reiz primitiver
schlichter Kunst wieder erschlossen haben. Man hat Gauguin des Exo-
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tismus und des Snobismus angeklagt und das taten zumeist jene Leute,
die er mit einer recht ‚tollen Bizarrerie erschreckte, um ihnen nichts von
: den Schätzen seines Innern offenbaren zu müssen. Wenn wir aber mit
: Liebe seine Werke betrachten und seine Schriften lesen, so strömt das
warme und große Gefühl dieser reichen Künstlerseele in uns über. Wir
verstehen, warum Paul Gauguins reiches Lebenswerk sich so gestalten
mußte, wie es gewachsen ist. Ö
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Paris, März 1907.
RUDOLF ADALBERT MEYER.
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