Belvedere Sonderheft
OLGA POSTNIKOVA - „...dass ich eine Meisterschule in Petersburg..."
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te 44 , um in St. Petersburg Fuß zu fassen. In die
ser Zeit verdiente er sein Brot als Retuscheur bei
dem Petersburger Photographen Veninger und
mit Zeichnungen für einzelne Zeitschriften. Wie
wenig die Kunst Mihäly Zichys am Hof Nikolajs I.
geschätzt wurde, belegen die Erinnerungen ei
ner Hofdame. Sie war 1854 Augenzeuge, wie
Nikolaj I. den angebotenen Kauf eines Bildes
von Zichy mit der Bemerkung, Zichy solle etwas
Nützlicheres machen als malen, schroff ablehn
te. 45 Erst unter Nikolajs Nachfolger, Alexander
II., machte Mihäly Zichy Karriere. Am 30. April
1858 nahm ihn die Akademie der Künste in St.
Petersburg für die Bilder „Fuchs und Luchs" und
„Erschossener Wolf" als Mitglied auf. Ein Jahr
später wurde er letztendlich zum Hofmaler er
nannt und diente in der Folge drei Zaren als ein
Chronist. Seine Hauptaufgabe war, die Feste,
Jagden und das Alltagsleben der Zarenfamilien
zu verewigen. Was seinen von Waldmüller an
gesprochenen Reichtum betrifft, spechen die Ar
chivdokumente eine andere Sprache: Der Künst
ler bekam ein äußerst bescheidenes Gehalt,
öfters brauchte Zichy eine Vorauszahlung und
Schulden belasteten ihn sein ganzes Leben. 46
Waldmüller hat die Geschichte über seine Einla
dung nach Rußland erfunden. Aber aus wel
chem Grund und zu welchem Zweck? 1857, in
seiner provokativen Denk- und Streitschrift „An
deutungen zur Belebung der vaterländischen
bildenden Kunst", in der er seine Unterrichts
methode als im Gegensatz zu jener der Akade
mie allein sinnvolle propagieren wollte, schil
derte er ausführlichst seinen Zeichenunterricht
der Großfürstin Katharina, welcher so erstaunli
che Erfolge zeitigte, daß die Einladung nach St.
Petersburg durch den Zaren ausgesprochen wur
de (Abb. 12). Ganz im Sinne seiner „Andeutun
gen" hat also die angebliche Einladung hier den
Zweck, seine Unterrichtsmethode zu bestätigen.
Dieses Argument kann nicht nachhaltig beein
druckt haben, wird er doch gerade wegen dieser
Schrift bei halben Bezügen zwangspensioniert.
In dem Brief an den Minister Freiherr Anton
von Schmerling aus dem Jahre 1864 bittet ihn
Waldmüller um Rehabilitierung und Zuerken
nung seines vollen Pensionsanspruches. Dem
gemäß wird ihm die fiktive Einladung nach St.
Petersburg und deren Ablehnung zum „spre
chendsten Beweis", daß er es ausschließlich als
seine Lebensaufgabe erachtete, alle seine „Kräf
te der Belebung und dem Gedeihen der vater
ländischen Kunst zu widmen, und dadurch (sei
nen) echten Patriotismus zu bethätigen". 47
Gnadenhalber wird vom Kaiser der Ruhegenuß
in voller Höhe gewährt, wofür wohl kaum jenes
Rußland-Argument eine Rolle gespielt haben
dürfte.
Waldmüller war sicherlich keine Ausnahme.
Viele Künstler in allen Jahrhunderten haben Le
genden über ihr Leben erzählt und geschrie
ben. Niemals hätte sich wohl Ferdinand Georg
Waldmüllerträumen lassen, daß seine Schülerin
Katharina - unschuldig und unabsichtlich - ein
en kleinen Teil seiner Lebenswahrheit enthüllen
könnte.
44 - Kunstblatt, 27. Jg.,
1846, Nr. 55, S. 222.
Kunstblatt, 28. Jg.,
1847, Nr. 31, S. 123.
45 - Anna Fjodorowna
Tjuttschewa, Pri dwore
dwuch imperatorow.
Wospominanija. Dne-
wniki 1853-1855. (Am
Hofe zweier Imperato
ren. Erinnerungen. Ta
gebücher 1853-1855.)
Moskau 1990, S. 158 f.
46 - Russisches Staatli
ches Historisches Ar
chiv, St Petersburg.
Fond 789, opis' 14,
delo 32 „Z u u. opis' 6,
delo 157; Fond 468,
opis' 14, delo 1221 u.
opis' 13, delo 1083.
47 - A. Roessler, wie
Anm. 3, S. 42.
Abb. 12 Brief der Großfürstin Katharina aus Gleichenberg
an ihren Lehrer Stender in St. Petersburg, 24. Juni 1847.
Staatliches Archiv der Russischen Föderation, Moskau.
OLGA POSTNIKOVA war bis 1991 Kuratorin für West
europäische und Amerikanische Kunst im Puschkin-
Museum für bildende Künste in Moskau. Seit 1992 lebt
und arbeitet sie als freiberufliche Kunsthistorikerin und
Autorin in Wien und Moskau. Wissenschaftliche Mitarbeit
an mehreren Ausstellungen. Forschungsschwerpunkt: Be
ziehungen der russischen Kunst des 19. Jahrhunderts zu
Westeuropa.