Belvedere 2/2003
VERENA PERLHEFTER - „Er ist ein Genie!" „Sie hat keinen Geschmack."
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hatte. Rasch machte er sich ans Malen, da sein
Modell, im Wasser ganz aufblühend, jeden Au
genblick die Farbe und Stellung wechselte. Er
glaubte, fertig zu sein und das Ergebnis war
wundervoll. Doch als er am nächsten Tag Kunst
und Natur miteinander verglich, war er unzu
frieden und brachte Retuschen an. [...] Die Blü
ten vertrockneten und ihre Organe traten hervor,
ihre Formen waren geometrischer, wie er sagte.
Er sah das Skelett sich abzeichnen, dessen Schön
heit ihn beglückte. Man mußte es ihm wegneh
men, damit nicht aus einer herrlichen Blüten
studie ein Herbarium wurde." 37
Offenbar war Delacroix immer wieder von der
Farbenpracht der Blumen fasziniert, da er seiner
Gastgeberin auch einmal anvertraute, daß ihn
„die Blumen ganz verrückt machen. Sie blenden
mich, sie machen mich wie blind. Ich kann mich
nicht dazu entschließen, sie auszulöschen, so
sehr bin ich in ihre Frische und Pracht verliebt.
Dennoch muß ich drei Viertel von ihnen opfern
und vernachlässigen und diejenigen aus der Lein
wand herausholen, die auf mich zukommen." 38
Gerade das Gemälde in der Österreichischen Ga
lerie Belvedere (Abb. 1) bestätigt dieses Vorge
hen eindrucksvoll.
Auch später hob George Sand die leuchtende
Farbigkeit des Bildes in ihrem Besitz hervor: „Es
ist eine herrliche Blumenskizze, strahlend in un
vergleichlicher Farbenpracht. Diese Skizze ent
stand ebenfalls für mich und in meinem Haus." 39
Die „Skizze" könnte die Einfachheit gegenüber
den anderen in diesen Jahren entstandenen Blu
menbildern (Abb. 10) erklären, denn das Entste
hungsjahr ist umstritten: Adolphe Moreau da
tiert das Werk in das Jahr 1834. 40 Dafür sprechen
vor allem stilistische Argumente, denn dieses
Blumenbild ist gegenüber den in den 1840er
Jahren entstandenen einfacher, mit den Werken
der 1830er Jahre jedoch durch die offene Mal
struktur verwandter, die Farbwirkung steht im
Vordergrund, während Vase und Hintergrund
hinter dem Schauspiel der Blütenfarben deutlich
zurücktreten. 41
Für eine Datierung in das Jahr 1843 spricht ne
ben den schriftlichen Zeugnissen von George
Sand der Aufenthalt Delacroix' in Nohant im
Sommer 1843; auch führt er in seinem Tagebuch
1844 das Gemälde als „Tableau de fleurs, ä No
hant" an, was wohl eher auf eine Entstehung in
dieser Zeit deutet. 42
Sosehr die Schriftstellerin aber in ihrer Begeiste
rung für das Werk des Künstlers an sich und be
sonders für „ihr" Blumenbild schwelgte, verlor
sie doch nie die praktische Verwertbarkeit ihres
Besitzes aus den Augen ...
Im Juli 1863 hatte Delacroix ihr das letzte Mal
geschrieben und von seinem schlechten Gesund
heitszustand berichtet. 43 Wenig später, am 13.
August 1863, starb er an seinem langjährigen
Kehlkopfleiden. Nach seinem Tod wurde sein
Nachlaß verkauft und erzielte sehr hohe Sum
men. George Sand befand sich zu dieser Zeit in
einer finanziell engen Lage: Nicht nur der Erhalt
von Nohant verschlang hohe Summen, auch ihr
Sohn Maurice, der sich nicht sehr gut mit ihrem
letzten Lebensgefährten Alexandre Manceau
verstand, wollte nun einen eigenen Hausstand
gründen und brauchte dazu die Unterstützung
seiner Mutter. So wurde die Idee geboren, die
Werke von Delacroix aus ihrem Besitz zu verkau
fen. 44 Am 23. April wurde der Verkauf im Hotel
Drouot in Paris durchgeführt; von den insgesamt
angebotenen 59 Werken stammten 20 aus dem
Delacroix-Bestand der Familie Sand; das Blumen
stilleben, Verkaufskatalognummer 8, erzielte
einen Preis von 2.070 Francs. 45
Was uns heute als erstaunlich unsentimental
erscheint, hätte Delacroix selbst wahrscheinlich
nicht sehr überrascht, da er sich in dieser Hinsicht
über ihren Charakter recht klar war: „Abends
Chopin besucht. [ ] Ein prächtiger Mensch.
Wir sprachen von Madame Sand, von diesem
merkwürdigen Wesen, dieser Mischung von Tu
genden und Lastern. Wir sprachen besonders
von ihren Memoiren. Er meinte, es würde ihr un
möglich sein, welche zu schreiben. Sie hat alles
vergessen. Sie hat Momente von Leidenschaft,
aber vergißt schnell. Ihren alten Freund Pierret
hat sie beweint und dann nicht mehr an ihn ge
dacht. [....] Ihr Gewissen wirft ihr nichts von dem
vor, was ihre Freunde an ihr tadeln. Sie hat eine
starke Konstitution, die viel aushalten kann." 46
37 - George Sand, Nou-
velles Lettres d'un Vo
yageur, Paris 1877,
S. 78.
38 - Wie Anm. 1,
S. 466.
39 - Ebenda.
40 - Adolphe Moreau,
Eugene Delacroix et
son oeuvre, Paris 1873,
S. 282.
41 - Vgl. Französische
Kunst in der Österrei
chischen Galerie in
Wien, bearb. von Step
han Koja, Salzburg
1991, S. 48.
42 - Ebenda.
43 - Correspondance
generale d'Eugene De
lacroix, hrsg. von An
dre Joubin, Band 1,
Paris 1935, S. 380.
44 - Vgl. Michelle
Tourneur, George Sand
et Delacroix, These,
Universite de Grenoble
1970, S. 280ff.
45 - Wie Anm. 43,
S. 317.
46 - Wie Anm. 8,
S. 47f.
Verena Perlhefter studierte in Wien und London Geschich
te, Kunstgeschichte und Japanistik. Schwerpunkt ihrer
Forschungstätigkeit sind einerseits geistesgeschichtliche
Problemstellungen des Humanismus der Spätrenaissance,
andererseits die Kulturgeschichte des ausgehenden 19.
und frühen 20. Jahrhunderts, hier insbesondere Studien
zur Lebensform der Bourgeoisie des 19. Jahrhunderts.