Full text: Belvedere - Zeitschrift für bildende Kunst (Heft 1, 2004)

dem isoliert, verstärkt seine Argumente durch 
die rhetorische Geste. Zu seinem erhöht stehen 
den Widerpart, der Gamaliel intensiv beobachtet, 
besteht kein direkter Blickkontakt, aber dennoch 
eine intensive, durch Gestik und Mimik ausge 
drückte Beziehung. 
Die 7. Illustration „Vor Pilatus"’ 9 zeigt Christus 
mit aufwärts gerichteten Blick im Zentrum des 
Geschehens. Seine statische und in sich ruhende 
Körperhaltung und seine Physiognomik stehen in 
starkem Kontrast zu den gestikulierenden Zu 
schauern (Abb. 7). Im Vergleich zu dem im Pri 
vatbesitz befindlichen Ölentwurf (siehe Abb. 6) 
zeigt sich Fügers genialer, ganz bewußt vorge 
nommener Einsatz von unterschiedlichen Aus 
drucksmöglichkeiten der Körpersprache. Sowohl 
Christus als auch Katharina drücken in der ge 
gen den Himmel gerichteten Kopfhaltung die 
Distanz zu allem Irdischen und der Hingabe in ihr 
zukünftiges Schicksal aus, das von keinem Men 
schen mehr beeinflußt werden kann. Doch wäh 
rend die Körpersprache Christi bereits Resignati 
on (die herabhängende Schulterpartie, der voll 
kommen ruhende Körper, die vor dem Körper 
gelegten Hände) ausstrahlt, befindet sich die hei 
lige Katharina noch im Stadium der Argumenta 
tion, ausgedrückt im Standmotiv (das linke Knie 
ist etwas abgewinkelt) und den auf die Schrift 
weisenden Armen mit den offenen Handflächen. 
Füger vereinigte in der Darstellung der Körper 
sprache die Mimik im physiognomischen Aus 
druck des Gesichts mit der dazupassenden Be 
wegung. Hierin unterscheidet er sich von den 
zeitgenössischen Studien zur Physiognomielehre 
und dessen wichtigstem Vertreter Johann Caspar 
Lavater (1741 -1801), der in seinem Werk „ Phy- 
siognomische Fragmente" - aus heutiger Sicht — 
pseudowissenschaftliche Analogien aus dem 
physiognomischen Ausdruck zum Charakter des 
Menschen herstellte. 20 Vielmehr interessierte Fü 
ger die Übereinstimmung von Mimik und Ges 
tik als Ganzheit, um so einen „ganzheitlichen 
emotionalen Eindruck" auf den Betrachter zu 
übertragen. Somit unterscheidet er sich von Le- 
Bruns Methode („Conference sur l'expression 
generale et particuliere", 1688), die das Gesicht 
eis wichtigsten Ausdrucksträger von Gefühlen 
ansieht. Jede einzelne Figur Fügers wird in ihrer 
gesamten Konstruktion Bedeutungsträger und 
erhält damit eine individuelle physiognomische 
Charakterisierung. Die Stellung der Figuren und 
ihre pantomimischen Gesten entsprechen der 
Deklamation im gesprochenen Drama. Der Ver 
gleich zum Drama und seiner szenischen Auffüh- 
Abb. 6 Heinrich Friedrich Füger, Die heilige Katharina vor 
Kaiser Maxentius, 1805, Öl auf Leinwand, 110 x 55 cm, 
Privatbesitz. 
Abb. 5 (linke Seite) Heinrich Friedrich Füger, Die heilige 
Katharina vor Kaiser Maxentius, 1805, Öl auf Leinwand, 
108 x 55 cm, Akademie der bildenden Künste, Wien. 
Belvedere 1/2004 ROBERT KEIL - Johannes d. Täufer segnend und Die hl. Katharina vor Kaiser Maxentius
	        
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