TIZ1AN0 di GREGORIO VECELL1 da CADORE.
Geboren: Cadore, 1477; gestorben: Venedig, 22. August 1576.
DIE EHEBRECHERIN VOR CHRISTUS.
s verleiht diesem geistreich componirten Bilde ein besonderes Interesse, dass es un
vollendet geblieben ist, wodurch der Beschauer in die Lage kommt, hier den Meister
bei seinem Schaffen gleichsam zu belauschen. Einzelne Partien sind mit gemässigten
Farbtönen, zu Grau und Braun neigend, untermalt; selbst die Hauptperson, Christus der Herr, ist
nur entworfen. Kopf und Hand sind in breiten Formen, kühl gefärbt, an ihre Stellen gebracht
und die Gewandung ist ebenfalls noch farblos. In Typus und Geberde ist diese Gestalt als eine
Wiederholung des Christus auf dem Bilde des »Zinsgroschen« in Dresden anzusehen.
Auch die Ehebrecherin, diese liebliche, graziöse Erscheinung, die man der ihr zur Last ge-
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legten Schuld gar nicht für fähig halten möchte, erscheint nur als untermalt, aber in Gestaltung
und Ausdruck ist sie vollständig fertig. Sie neigt, vor Christus geführt, in Demuth mit gesenktem
Blick das schöne Haupt. Ihre blonden Haare sind von einem leichten Tuche zusammengehalten,
das weisse Unterkleid lässt zum Theil den Busen sehen. Männer von rohem Aussehen haben das
Opfer unsanft gefasst, selbst der Pharisäer von vornehmem Wesen scheut nicht vor ihrer Berüh
rung und hält sie beim Oberarme, sie so dem Heiland vorführend, an welchen er seine Worte der
Anklage richtet.
Auch diese Gruppe der Peiniger zeigt im Allgemeinen die flüchtige Vorbereitung, aber
einige Köpfe sind sorgfältig vollendet und berechtigen zu der Annahme, dass es hier Tizians In
tention war, ein sehr ausgeführtes Bild zu schaffen.
Erzherzog Leopold Wilhelm, der so viele herrliche Werke Tizians erwarb, besass auch
dieses Bild; es erscheint im Inventar der im Jahre 1656 nach Wien geführten Sammlung, Nr. 131.
ln der Stallburg aufgestellt, wurde es von Strasser für das Galeriewerk en miniature copirt.
In der Galerie zu Padua befindet sich eine alte Copie unserer »Ehebrecherin«. Der Copist,
welcher bei den unfertigen Partien des Originales rathlos und auf sein eigenes Können angewiesen
blieb, ergänzte diese in derber, brutaler Weise und brachte P'arben an, welche Tizian nie die Ab
sicht haben konnte, seinem Bilde bei seiner Vollendung zu geben. Diese Copie wird in Padua
dem Varotari zugeschrieben, sie dürfte aber eher von dessen Schwester Chiara gemalt worden sein.
Das Original ist auf Leinwand gemalt, 106 Cm. hoch, 137 Cm. breit.
Es ist gestochen worden: von Thom. Benedetti, 21*5 Cm. hoch, 30 Cm. breit
J. Troyen. 15 5 Cm. hoch, 21*4 Cm. breit (Teniers Theatr. pict.).
breit (Stampart und Premier),
in Wien).
von
Radirt: 3*3 Cm. hoch, 4-6 Cm.
W. Unger, 20 Cm. hoch, 27 Cm. breit (k. k. Gemäldegalerie