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rüft man sorgfältig die Wege, welche von den oben
eingehender geschilderten oder auch nur flüchtig
erwähnten Meistern in der Ausübung ihrer Kunst
eingeschlagen wurden, so nehmen wir bereits wahr,
dass man in schlichtererWeise als bisher bestrebt war, die gestellten
Aufgaben zu erfassen und zu gestalten, dass man begann, neben der
Darstellung von Allegorien, sowie mythischer und antiker Gegen
stände, auch historische Ereignisse
heranzuziehen und mit diesen aber
auch deutlich die Intentionen her
vortraten, sich der Wahrheit der
Darstellung und somit der Natur
zu nähern, um endlich wieder nach
langer Abirrung in ihr die erste und
massgebendste Lehrerin zu erblicken.
Die Glanzperiode der k. k.
Akademie der bildenden Künste war
mit dem Wechsel des Jahrhunderts
so gut wie vorüber; die Zeit und
ihre Vorwärtsbewegung erheischten
ein freieres Gebahren im Unterrichts
wesen in dem Sinne, als mit den viel
fach zur Schablone gewordenen Tra
ditionen gebrochen werden musste,
was freilich auch eine Periode der
Kämpfe mit sich brachte. Sowie sich
aber diese Bewegung in allen Cultur-
staaten vollzog, so musste man trotz
allen Widerstandes auch hier natur-
gemäss endlich einer neuen Zeit und
ihren Forderungen Folge leisten.
Die im Jahre 1877 anlässlich der Eröffnung des neuen Aka
demiegebäudes am Schillerplatze erschienene Festschrift: »Geschichte
der k. k. Akademie der bildenden Künste«, verfasst von Dr. Carl
von Lützow, gedenkt in dem Abschnitte »Am Wendepunkt des Jahr
hunderts« der Bewegung und des Conflictes an dieser Kunstschule.
Die damaligen Schülerlisten zeigen eine lange Reihe wohlbekannter
Namen, darunter Daffinger, Fetter, C. Russ, J. Kriehuber,
F. Waldmüller, Peter Fendi, L‘ Kupelwieser, Jos. Binder, Leop.
Schulz u. A. Von Kunstjüngern aus dem Auslande lesen wir die
Namen Franz Pforr, Job. Friedr. Overbeck, Jos. Wintergerst,
Philipp Veit, »die jugendlichen Apostel der neu-deutschen Kunst, die
Vertreter der Zukunftsideen jener Tage, welche bald mit den herr
schenden Akademikern in Conflict kamen.«
»In den Briefen Eberhard Wächter’s an den Freiherrn von
Uexküll,« wird weiters in der oben genannten Festschrift berichtet,
»kommt die Unzufriedenheit mit der herrschenden Richtung, welche
in den Kreisen der jüngeren Künstler sich zu regen begann, zu
energischem Ausdruck.« Friedrich Overbeck, der im März 1806
von seiner Heimat Lübeck nach Wien kam,*) schreibt an Kestner
(24. März 1810): »Ersparen Sie es mir, es Ihnen ausführlich zu
schildern, wie die ersten Jahre meines Hierseins verstrichen, wie
ich unter Menschen, die ich weder achten noch lieben konnte, in
dumpfer Betäubung fortvegetirte, und was ich für ein Alltagsmensch
ward auf dieser Schul-ähnlichen
Akademie; wie jedes edlere Gefühl,
jeder bessere Gedanke unterdrückt
und zurückgescheucht wurde, und
wie ich nahe daran war, für Kunst
und Menschheit verloren zu gehen,
wenn nicht zur rechten Zeit sich
noch ein Freund, ein edler Mensch
gefunden hätte, der den letzten
ersterbenden Funken wieder anfachte
und nach und nach mich wieder zu
mir selbst zurückgeführt.«**) Dieser
Herzenserguss O v e r b e c k’s an seinen
Freund schildert so recht drastisch
das damals bestehende Verhältniss
zwischen der Akademie und ihrer
Lehrübung und den sich bahn
brechenden neuen Bestrebungen.
Wie bekannt, verliessen Overbeck
und seine Gesinnungsgenossen die
Lehranstalt, indem sie aus derselben
verwiesen wurden.***)
Mit Overbeck gingen noch
einige junge Künstler, welche, so
wie er, in Wien für Reinheit und Adel des Stils, für energische
Auffassung des Lebens eintraten, nach Rom, um daselbst einen
-5*. -f •
J. F. OVERBECK. Christus fällt unter der Last des Kreuzes.
*) Johann Friedrich Overbeck (geb. zu Lübeck den 3. Juli 1789, gest.
zu Rom den 12. November 1869) ist nach den Aufnahmslisten der k. k. Akademie
der bildenden Künste in Wien am 22. April 1806 in die Antikenschule eingetreten
und kommt im Wintersemester 1811/12 noch als Schüler vor. Die von ihm in
der Aquarellen- und Handzeichnungs-Sammlung des kunsthistorischen Hofmuseums
aufgestellten 14 Blatt »Stationen«, Sepiazeichnungen auf grauem Grunde, wurden
im Jahre 1890 von Sr. Majestät für die kaiserlichen Sammlungen erworben.
**) Dieser Freund war der schon 1812, also frühzeitig, in Rom verstorbene
hochbegabte Franz Pforr, Sohn des Thiermalers Johann Geprg Pforr (1745,
j 1798) zu Frankfurt a. M.
***) Professor Fischerachtete die Bestrebungen der jungen Leute, die
angeregt durch Eberhard Wächter, den Kämpfer gegen Ziererei und Schwulst in
der Kunst, sich gegen den akademischen Schlendrian stellten, um durch Tiefe des
Gemüthslebens, Frömmigkeit des Herzens, mit aller Aufopferung und im Gefühle
eigener Freiheit auf dem Wege der Wahrheit und Natur zu den höchsten Zielen
der Kunst zu gelangen. Deshalb veranstalteten die jungen Männer dem ihnen mit
Verständniss entgegenkommenden, freier denkenden Professor ein Fest, das von
der akademischen Behörde jedoch übelst aufgenommen wurde und den jungen
Stürmern gegen den herkömmlichen akademischen Bestand die Ausweisung eintrug.