Full text: Moderne Meister (Band 3, 1897)

Die Genre- und Schlachtenmalerei nahm ebenso ihre ganz 
neuen Wege, sie baute, wo es nur möglich war, auf Wahrheit und 
Wissen auf. Fach um Fach nahm diese neuen Anschauungen zueigen 
und es dauerte kaum vier Decennien, so war eine neue Kunst 
erstanden, ganz anders geartet und doch ebenso ästhetisch berechtigt 
und überzeugend, wie es die wahre Kunst aller Zeiten gewesen ist. 
Wir, die wir nun so nahe dem Ende unseres Jahrhunderts 
stehen, blicken freilich auf die Zeit der eben dargethanen Kunst 
bewegung wie auf längst antiquirte Dinge zurück, und Manches aus 
der Zeit der Kindheit unseres Jahrhunderts belächeln wir heute, ja 
aus den Galerien, 
So wie heute, da man bestrebt ist, in der Kunst der 
Natur möglichst nahe zu kommen und, nebenbei bemerkt, homogen 
der drängenden Bewegung unserer Zeit, in dem Bestreben nach 
Wahrheit wohl hie und da auf Kosten der Schönheit zu weit geht 
und gleichsam von einem Extrem ins andere fällt, so war es auch 
damals vor Allem das Naturgefühl, das die künstlerischen Bestrebungen 
intuitiv in neue Bahnen lenkte, auf denen es gelang, des Her 
kömmlichen los zu werden, um im Zusammenfliessen von Wahrheit 
und künstlerischer Empfindung der Zeit, in der man lebte, bildgerecht 
Man darf sagen, dass mit Friedrich Heinrich Füger 
und den ihn umgebenden Meistern die letzten herüberschimmernden 
Lichter am Kunsthimmel des 18. Jahrhunderts erloschen sind. Die 
einst sich so gewaltig geberdenden Akademiker waren in ein weich 
liches Wesen versunken, sie entnervten ihre Kunst in dem zu weit 
gehenden Bestreben nach idealer Schönheit, sie verloren das Gefühl 
für Wahrheit und Natur und in den ihnen nachfolgenden jungen, 
emporkeimenden Talenten ent 
wickelten sich neue Triebe, 
welche die akademischen Fes 
seln durchbrachen, um frei vom 
Banne zünftigen Geistes ihrer 
Kunstausübung zu folgen. So 
wich allmählich Einer um den 
Andern von dem falschen Pfade 
einer nur eingebildeten Tugend 
ab und wandte sein Antlitz dem 
S> 
zu werden. 
wir entfernen es 
um es in Depots, in diese Unterwelt der Bilder, auf ewig einzu 
kerkern. Doch es bleibt ein tröstliches Gefühl für diese Verbannten 
in uns und dieses besteht in der Ueberzeugung, das auch sie ihre 
Schuldigkeit gethan haben und wären sie auch nichts weiter gewesen, 
als die geschlechtslosen Arbeitsbienen, welche den Honigkorb zu 
füllen geholfen hatten. 
Mit der zweiten Hälfte 
unseres Jahrhunderts haben 
sich freilich rasch genug neue 
Wendungen auf dem Gebiete 
der Kunst dargethan. Die durch 
mehr als 30 Jahre waltende 
politische Ruhe wich einer 
mächtig bewegten Zeit. Immer 
reifer wurden die Anschau 
ungen, geklärter gestalteten sich 
die geistigen Intentionen und 
stets vertiefter traten die Ge- 
vielleicht recht undankbar 
schöpferischen Geiste der Natur 
zu, unbeengt und frei hinaus 
blickend in die weite Welt, 
wie sie Gott so ganz anders 
geschaffen hat. 
müthsaffectionen hervor, von 
denen ein Kunstwerk erfüllt 
sein sollte. Schüchternheit und 
ängstliches Gebahren wichen 
der freien Entwickelung von 
Stoff und Gedanken; das Ideale neigte immer mehr zur Wahrheit 
und die höchste Bravour in der Technik modernen Sinnes paarte 
sich mit nicht selten philosophischer Vertiefung, 
aber auch das Gewöhnliche nicht mehr. Ein Neues drängt das 
andere, es entsteht ein Suchen und Haschen um den Preis dra 
stischer Wirkung, flieht aber auch oft genug die Schönheit, und ab 
und zu stehen wir schier betroffen vor Schöpfungen, mit welchen 
eine Kunstbewegung heraufbeschworen erscheint, die, um in lockerem 
Kunstgefüge nur Seltsames zu schaffen, in ihren Motiven sogar das 
Niedrige, ja selbst Gemeine nicht scheut. Es ist der rüde Naturalismus 
in seine Rechte getreten und die Göttin der ewigen Schönheit verhüllt 
ihr Antlitz.*) Noch ist die Zeit des objectiven Urtheils nicht gekommen. 
Die Bewegung that 
sich zugleich auf allen Kunst 
gebieten kund. Die kirchliche 
Malerei suchte in der vornehmen Renaissance wieder ihre Vorbilder, 
indem sie den Classicismus abwarf und unter dem Einflüsse eines 
gewissermassen elegischen Geistes und schlichter Naturanschauung 
die Wahrheit der Darstellung mit religiöser Vertiefung zu verbinden 
sich bestrebte. So erhob sich die junge Künstlergeneration der 
Nazarener, Meister Overbeck an der Spitze, welche in festgeschlossener 
Phalanx den Kampf gegen die Anhänger des Classicismus aufnahm, 
und so standen auf dem Gebiete der weltlichen und profanen Kunst 
die Männer der Reihe nach auf, um als Vorkämpfer für die nach- 
herigen Überzeugungen des 19. Jahrhunderts die I ? undamente zu 
schaffen. Auf dem Gebiete der Historienmalerei, welche bislang nur 
auf dem Kothurne antikisirenden und allegorisirenden Geistes stand, 
suchte man der historischen Wahrheit gerecht zu werden, zuerst 
wohl nur in heute recht kindlich erscheinenden Anfängen, aber bald 
traten Meister auf, die das Studium der Geschichte ernst nahmen, 
die sich nach den richtigen Behelfen umzusehen verstanden, und 
sonach die Schöpfer einer Kunst wurden, von welcher die Alten 
nichts wussten und auf deren gesunder Basis, wenn auch bei weit 
höherer Entwickelung, wir heute noch stehen und vorwärts schaffen. 
F. H. FÜGER. Die heil. Magdalena. 
Allmählich wirkt 
) Wir sehen es als eine erfreuliche Thatsache an, dass nicht nur die 
hier schaffenden, sondern die Meisten im Auslande lebenden österreichischen 
Künstler nicht »in den tollen Scherz« mit einstimmen, welcher mitunter als die 
dermalen wahre Kunst hingestellt wird und es darf uns daher nur mit Befriedigung 
erfüllen, wenn man den österreichischen Künstlern auf der vorjährigen Ausstellung 
in München nachgesagt haben soll, sie wären in ihrer Entwickelungsphase zurück 
geblieben, weil sich in ihrer thatsächlich allgemein anerkannten und belebten 
Abtheilung wenig oder besser gar nichts von der Kunstart sehen Hess, die der 
malen, freilich nur von den Ausübenden selbst, so sehr beliebt wird. 
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