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War auch Waldmüller als Proträtist nicht minder bedeutend
wie als Genremaler, so brachte er es, wie Dr. Oscar Berggruen
in der von ihm herausgegebenen Biographie des Meisters sehr
richtig hervorhebt, nie zum Modemaler; dazu war seine Kunst zu
wahr und aufrichtig. Jedoch die Charakteristik, mit der er seine
Personen jederzeit auffasste, galt ihm mehr als blosses Ge
fallen, womit er sich nicht begnügte. Demnach drückte er allen
seinen Bildnissen vor Allem den Stempel der Wahrheit auf und
demnach malte auch Keiner Beethoven so charakteristisch und
überzeugend wie er.*) So und nicht anders konnte der grosse
Meister, dieser Michel-Angelo der Tonkunst, ausgesehen haben.
Das stürmische Wesen seiner Gesichtszüge, das ihm zumeist seine
Porträtisten andichteten, ist hier in dem Bildnisse unseres Meisters
gänzlich vermieden. Wir sehen dagegen einen ruhigen, aber wahren
Gesichtsausdruck, der fest geschlossene, etwas schmallippige, leicht
vorgeschobene Mund, dessen Winkel ein wenig abwärts weichen, macht
den Eindruck von Charakterfestigkeit, hat aber auch zugleich etwas
Schmerzbewegtes. Ein Energie andeutendes, breites Kinn formt nach
unten wohlgefällig das Gesicht. Ueber den in schönem Bogen ge
schwungenen Augenbrauen ragt jene herrliche Stirne empor, durch
die sich fast alle Genies kennzeichnen. Dieser prächtige Kopf
mit der etwas platten Nase baut sich auf einem breiten Halse auf,
welcher auf festem Brustgehäuse ruht. Die geistige Ueberlegenheit
des grossen Tonkünstlers spricht sich in jedem Zuge dieses Antlitzes
aus, bewusst, aber schlicht und natürlich, schaut der Meister aus
dem Bilde heraus, nicht auf den Beschauer, sondern in die Weite
blickend. Wie bei allen seinen Bildnissen that auch hier der Künstler
nichts hinzu, sondern er schilderte den Mann, wie er ihn vor sich
hatte, ohne Affectirtheit und vermeintliches Pathos, und darum auch
trägt dies Bildniss den vollen Stempel der Wahrheit in sich und
wirkt überzeugend. Dasselbe entstand im Jahre 1823, zu welcher Zeit
Waldmüller bereits wusste, wie man ein Porträt zu malen habe,
das gut und richtig sein soll. Nur mit solchen Intentionen mochte
er also daran gegangen sein, den unsterblichen Meister zu malen,
und er hat ihn sicher so getroffen, dass ihm die Nachwelt hiefür
den grössten Dank schuldet. Hätte Waldmüller nur dies eine
Bildniss gemalt, so wäre er schon in die Reihe der bedeutendsten
Porträtmaler zu stellen.
In der Bildnissmalerei soll der Künstler seiner eigenen Indivi
dualität insofern entsagen, dass er nicht einen Kopf nach seiner
etwaigen künstlerischen Auffassung malt, sondern wirklich ganz und
gar denjenigen darstellt, den er vor sich hat. So natürlich das klingt,
so selten geschieht es in der That. Ich kannte im Laufe der Zeiten
eine Reihe von sehr gesuchten, ja berühmten Bildnissmalern, die
eigentlich, genau besehen, immer dieselbe Charakteristik in ihre
Köpfe brachten, d. h. einen Typus schufen, den ihnen ihre Phantasie
eingab, der aber nicht in dem betreffenden Individuum lag. Aber
ihre Bildnisse sahen gefällig aus und das war wohl der Hauptgrund
ihrer Beliebtheit. Der namentlich in den Fünfziger- und Sechziger
jahren fast allgemeinen Verflachung der Porträtmalerei haben seither
einige treffliche Meister sowohl der jüngeren als jüngsten Generation
mit Erfolg entgegengearbeitet und diese Kunst wieder auf eine volle
Höhe gebracht. Heute malt man nicht mehr die Larve allein, sondern
den Geist, das seelische Wesen des Darzustellenden. Und das ist
die höhere Aufgabe der Porträtmalerei, nicht nur das Aeusserliche,
sondern den Menschen auch nach seinem inneren Wesen zu schildern.
Die Mehrzahl der Bildnisse Waldmüller’s ist nicht in die
%
Oeffentlichkeit gelangt, weshalb man von Zeit zu Zeit immer noch
nicht bekannten Bildnissen begegnet. So brachte man vor kurzer Zeit
dem Verfasser das Bildniss der 15jährigen Tochter Waldmüller’s in
schmuckem weissen Anzuge, von Blumen umgeben, mit einem prächtigen
landschaftlichen Hintergründe. Es stellt die nachmalige Frau des bereits
genannten Homöopathen Dr. Wurmb dar, und zwar in Lebens
grösse gemalt.*) Sogar vor wenigen Tagen noch brachte man
mir ein allerliebstes Miniaturbild und noch ein anderes Frauen-
bildniss zur Beurtheilung, welche zu dem Zartesten an Auffassung
Es lohnte sich wohl und ich weiss
echter Weiblichkeit gehörten,
nicht, ob es nicht gerade jetzt bei der neuen Kunstbewegung sehr
interessant und lehrreich sein würde, eine
aber in umfassendstem
Ausstellung der Werke Wa 1 d m ü 11 e r’s
zu veranlassen, was gewiss eine dankenswerthe Aufgabe im Künstler
hause sein würde.
So frei und unbefangen sich unser Meister in Allem, was er
wahrzunehmen vermochte, künstlerisch bewegte, so schwer fiel es
ihm auf dem Gebiete der religiösen Malerei, worin er sich gelegent
lich, wohl auch nur dazu gezwungen, versucht hat, eine Basis
zu gewinnen, auf der er hätte seine naturalistische Kunst in
religiösem Sinne anwenden können. Er erscheint in diesen Bildern
entschieden befangen, und zwar von einem nicht klar zum Durch
bruch gelangenden Stylgefühl, von dem er glaubte, es nicht ganz
ignoriren zu können. Waldmüller hätte unserer Meinung nach
die Frühmeister vor Rafael studiren müssen, um sodann mit seiner
ehrlichen Naturanschauung etwas zu schaffen, wodurch er vielleicht
zu anderen Zielen als die Nazarener gelangt sein würde, sicher aber
zu gesunderen Darstellungen, als die modernsten, religiöse Stoffe
wählenden Maler, welche die Naivetät der alten Meister gleichsam
erzwingen wollen. Mythologischen Stoffen blieb Waldmü 11 er wohl
gänzlich fern, und wenn man ein seit Jahren mit immer steigenden
Preisen von Besitz zu Besitz wanderndes Bild im Katalog der
Waldmüller Ausstellung vom Jahre 1865 mit dem bombastischen
Titel »Die Nymphen aus Homer’s Odyssee« zu nennen beliebte, so
hat man da etwas gethan, was unserem Meister nicht im Schlafe
eingefallen wäre, denn was er da malte, waren weibliche Act
studien, die er zu einer Badescene im Walde vereinte. Lag es
doch nahe genug, dass Waldmüller, der sich aus
akademischen Schwulst ganz und gar herausgearbeitet hatte, weder
von antikisirenden noch romantischen Darstellungen was wissen
wollte und so auch fast ängstlich jede Berührung mit der soge
nannten Historienmalerei vermied. Zu dem gleich einem glänzenden
Gestirn emporsteigenden Rahl war Wald mü Iler daher wohl der
allergrösste Gegensatz, und dass sich auch diese beiden Künstler nie
verstanden, auch einander nie nach Gebühr gewürdigt haben werden,
ist mehr als begreiflich. Auch ein Schwind mochte unseren Rea
listen und Zukunftsmaler von reinstem Wasser kalt lassen, wenn
Style zu bewerkstelligende
all’ dem
*) Das Original befindet sich im Besitze der Firma Breitkopf und
Härte! in Leipzig. Gestochen ist dasselbe von L. Sichling.
*) Das Bildniss ist wegen ungünstiger Verhältnisse der Familie, in deren
Besitze es sich befindet, verkäuflich.