Full text: Moderne Meister (Band 3, 1897)

65 
War auch Waldmüller als Proträtist nicht minder bedeutend 
wie als Genremaler, so brachte er es, wie Dr. Oscar Berggruen 
in der von ihm herausgegebenen Biographie des Meisters sehr 
richtig hervorhebt, nie zum Modemaler; dazu war seine Kunst zu 
wahr und aufrichtig. Jedoch die Charakteristik, mit der er seine 
Personen jederzeit auffasste, galt ihm mehr als blosses Ge 
fallen, womit er sich nicht begnügte. Demnach drückte er allen 
seinen Bildnissen vor Allem den Stempel der Wahrheit auf und 
demnach malte auch Keiner Beethoven so charakteristisch und 
überzeugend wie er.*) So und nicht anders konnte der grosse 
Meister, dieser Michel-Angelo der Tonkunst, ausgesehen haben. 
Das stürmische Wesen seiner Gesichtszüge, das ihm zumeist seine 
Porträtisten andichteten, ist hier in dem Bildnisse unseres Meisters 
gänzlich vermieden. Wir sehen dagegen einen ruhigen, aber wahren 
Gesichtsausdruck, der fest geschlossene, etwas schmallippige, leicht 
vorgeschobene Mund, dessen Winkel ein wenig abwärts weichen, macht 
den Eindruck von Charakterfestigkeit, hat aber auch zugleich etwas 
Schmerzbewegtes. Ein Energie andeutendes, breites Kinn formt nach 
unten wohlgefällig das Gesicht. Ueber den in schönem Bogen ge 
schwungenen Augenbrauen ragt jene herrliche Stirne empor, durch 
die sich fast alle Genies kennzeichnen. Dieser prächtige Kopf 
mit der etwas platten Nase baut sich auf einem breiten Halse auf, 
welcher auf festem Brustgehäuse ruht. Die geistige Ueberlegenheit 
des grossen Tonkünstlers spricht sich in jedem Zuge dieses Antlitzes 
aus, bewusst, aber schlicht und natürlich, schaut der Meister aus 
dem Bilde heraus, nicht auf den Beschauer, sondern in die Weite 
blickend. Wie bei allen seinen Bildnissen that auch hier der Künstler 
nichts hinzu, sondern er schilderte den Mann, wie er ihn vor sich 
hatte, ohne Affectirtheit und vermeintliches Pathos, und darum auch 
trägt dies Bildniss den vollen Stempel der Wahrheit in sich und 
wirkt überzeugend. Dasselbe entstand im Jahre 1823, zu welcher Zeit 
Waldmüller bereits wusste, wie man ein Porträt zu malen habe, 
das gut und richtig sein soll. Nur mit solchen Intentionen mochte 
er also daran gegangen sein, den unsterblichen Meister zu malen, 
und er hat ihn sicher so getroffen, dass ihm die Nachwelt hiefür 
den grössten Dank schuldet. Hätte Waldmüller nur dies eine 
Bildniss gemalt, so wäre er schon in die Reihe der bedeutendsten 
Porträtmaler zu stellen. 
In der Bildnissmalerei soll der Künstler seiner eigenen Indivi 
dualität insofern entsagen, dass er nicht einen Kopf nach seiner 
etwaigen künstlerischen Auffassung malt, sondern wirklich ganz und 
gar denjenigen darstellt, den er vor sich hat. So natürlich das klingt, 
so selten geschieht es in der That. Ich kannte im Laufe der Zeiten 
eine Reihe von sehr gesuchten, ja berühmten Bildnissmalern, die 
eigentlich, genau besehen, immer dieselbe Charakteristik in ihre 
Köpfe brachten, d. h. einen Typus schufen, den ihnen ihre Phantasie 
eingab, der aber nicht in dem betreffenden Individuum lag. Aber 
ihre Bildnisse sahen gefällig aus und das war wohl der Hauptgrund 
ihrer Beliebtheit. Der namentlich in den Fünfziger- und Sechziger 
jahren fast allgemeinen Verflachung der Porträtmalerei haben seither 
einige treffliche Meister sowohl der jüngeren als jüngsten Generation 
mit Erfolg entgegengearbeitet und diese Kunst wieder auf eine volle 
Höhe gebracht. Heute malt man nicht mehr die Larve allein, sondern 
den Geist, das seelische Wesen des Darzustellenden. Und das ist 
die höhere Aufgabe der Porträtmalerei, nicht nur das Aeusserliche, 
sondern den Menschen auch nach seinem inneren Wesen zu schildern. 
Die Mehrzahl der Bildnisse Waldmüller’s ist nicht in die 
% 
Oeffentlichkeit gelangt, weshalb man von Zeit zu Zeit immer noch 
nicht bekannten Bildnissen begegnet. So brachte man vor kurzer Zeit 
dem Verfasser das Bildniss der 15jährigen Tochter Waldmüller’s in 
schmuckem weissen Anzuge, von Blumen umgeben, mit einem prächtigen 
landschaftlichen Hintergründe. Es stellt die nachmalige Frau des bereits 
genannten Homöopathen Dr. Wurmb dar, und zwar in Lebens 
grösse gemalt.*) Sogar vor wenigen Tagen noch brachte man 
mir ein allerliebstes Miniaturbild und noch ein anderes Frauen- 
bildniss zur Beurtheilung, welche zu dem Zartesten an Auffassung 
Es lohnte sich wohl und ich weiss 
echter Weiblichkeit gehörten, 
nicht, ob es nicht gerade jetzt bei der neuen Kunstbewegung sehr 
interessant und lehrreich sein würde, eine 
aber in umfassendstem 
Ausstellung der Werke Wa 1 d m ü 11 e r’s 
zu veranlassen, was gewiss eine dankenswerthe Aufgabe im Künstler 
hause sein würde. 
So frei und unbefangen sich unser Meister in Allem, was er 
wahrzunehmen vermochte, künstlerisch bewegte, so schwer fiel es 
ihm auf dem Gebiete der religiösen Malerei, worin er sich gelegent 
lich, wohl auch nur dazu gezwungen, versucht hat, eine Basis 
zu gewinnen, auf der er hätte seine naturalistische Kunst in 
religiösem Sinne anwenden können. Er erscheint in diesen Bildern 
entschieden befangen, und zwar von einem nicht klar zum Durch 
bruch gelangenden Stylgefühl, von dem er glaubte, es nicht ganz 
ignoriren zu können. Waldmüller hätte unserer Meinung nach 
die Frühmeister vor Rafael studiren müssen, um sodann mit seiner 
ehrlichen Naturanschauung etwas zu schaffen, wodurch er vielleicht 
zu anderen Zielen als die Nazarener gelangt sein würde, sicher aber 
zu gesunderen Darstellungen, als die modernsten, religiöse Stoffe 
wählenden Maler, welche die Naivetät der alten Meister gleichsam 
erzwingen wollen. Mythologischen Stoffen blieb Waldmü 11 er wohl 
gänzlich fern, und wenn man ein seit Jahren mit immer steigenden 
Preisen von Besitz zu Besitz wanderndes Bild im Katalog der 
Waldmüller Ausstellung vom Jahre 1865 mit dem bombastischen 
Titel »Die Nymphen aus Homer’s Odyssee« zu nennen beliebte, so 
hat man da etwas gethan, was unserem Meister nicht im Schlafe 
eingefallen wäre, denn was er da malte, waren weibliche Act 
studien, die er zu einer Badescene im Walde vereinte. Lag es 
doch nahe genug, dass Waldmüller, der sich aus 
akademischen Schwulst ganz und gar herausgearbeitet hatte, weder 
von antikisirenden noch romantischen Darstellungen was wissen 
wollte und so auch fast ängstlich jede Berührung mit der soge 
nannten Historienmalerei vermied. Zu dem gleich einem glänzenden 
Gestirn emporsteigenden Rahl war Wald mü Iler daher wohl der 
allergrösste Gegensatz, und dass sich auch diese beiden Künstler nie 
verstanden, auch einander nie nach Gebühr gewürdigt haben werden, 
ist mehr als begreiflich. Auch ein Schwind mochte unseren Rea 
listen und Zukunftsmaler von reinstem Wasser kalt lassen, wenn 
Style zu bewerkstelligende 
all’ dem 
*) Das Original befindet sich im Besitze der Firma Breitkopf und 
Härte! in Leipzig. Gestochen ist dasselbe von L. Sichling. 
*) Das Bildniss ist wegen ungünstiger Verhältnisse der Familie, in deren 
Besitze es sich befindet, verkäuflich.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.