Full text: Moderne Meister (Band 3, 1897)

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So recht bei der Stange geblieben sind nur Wenige seiner 
Schule, ja eigentlich hätten sie die Principien des Meisters fort 
bilden und ihn überragen sollen. Er griff 
aber gleichsam über sie hinaus und erst 
später kam dasjenige zur Geltung, was 
durch ihn bereits vollinhaltlich eingeleitet 
war. Doch nicht zuerst in Wien, sondern 
in Frankreich trat zu Tage, was in seiner 
Lehre lag, und von dort erhielten unsere 
jungen Talente die Impulse, dass das, 
was der Natur, d. i. der Wahrheit ent 
sprechen sollte, der Natur auch un 
mittelbar nachzubilden sei, und was sich 
im Freien zuträgt, auch daselbst gemalt, 
mindestens studirt werden müsste. Wer 
möchte die Erfolge verkennen, die sich 
mit solchen Ueberzeugungen verbanden 
und wer würde nicht die Resultate 
schätzen, welche sich damit in der ge- 
sammten Kunstleistung, namentlich der 
zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts, voll 
zogen haben? In alle Fächer der Kunst 
drang das Streben nach Wahrheit der 
Darstellung, und waren es zu Beginn des Jahrhunderts schüchterne 
Versuche, so trat ein halbes Säculum später diese Anschauung, der 
Erscheinung der Natur in der Kunst 
ihr volles Recht zu bewahren, als 
gebieterische Forderung auf. So 
kam es aber auch leider alsbald 
dazu, der Wahrheit die Ideale der 
Kunst opfern zu wollen und damit 
wuchs immer mehr der Realismus 
empor, der ein bisher nie ge 
kanntes Uebergewicht erhielt, so 
dass es wohl als eine Art von (Kon 
sequenz angesehen werden muss, 
wenn allmälig das Schöne dem 
Natürlichen und das Aesthetische 
dem Zufälligen geopfert werden 
konnte. Von da an war auch nur 
ein Schritt zum Hässlichen, zum 
Curiosen und sogenannt Pikanten, 
davor man verwundert stehen kann 
und fragen: »Was aber wollte der 
Künstler wohl damit?« 
Mit Darstellungen des Gräss 
lichen, mit aller blutigen und zu 
gleich scheusslichen Wahrheit 
wurde schon vor Decennien der 
Anfang gemacht und da ging vor 
Allen Belgien voraus; spanische Künstler pflegen heute noch mit Vor 
liebe die Darstellungen von Grässlichkeiten, aber auch in Frankreich 
finden sich noch immer Maler, die mit erschreckenderWahrheit Scheuss- 
lichkeiten dem Publicum auftischen; das sind dann die sogenannten 
Sensationsbilder, die das verwöhnte und in seiner Art kunstübersättigte 
Publicum auf den Ausstellungen sucht und wenn es sie nicht 
findet, gelangweilt davongeht. Ich erinnere 
mich, einmal das getreue Abbild der 
Leichen in der Morgue, und zwar in 
Lebensgrösse gemalt, gesehen zu haben; 
an sich war das Bild meisterhaft, aber 
denkt man an die durch und durch 
ästhetische Erscheinung der Anatomie 
von Rembrandt, so gelangt man gegenüber 
der heutigen Auffassung solcher Stoffe 
zum betrübenden Bewusstsein einerHerab- 
gekommenheit in der Kunst, wie sie in 
♦ 
solchem Sinne eigentlich noch nie be 
standen hat. Auch die seinerzeit hier ge 
sehene und gewiss sehr gut gemalte 
Scene im Operationssaale des Professors 
Dr. Billroth hört in solcher Gestaltung 
und Auffassung auf, als Bild zu gelten, 
sondern wirkt vielmehr als eine Zeitungs- 
Illustration. Aber dabei blieb der Na 
turalismus, dem man nun einmal die 
Zügel schiessen Hess, keineswegs stehen. 
Um natürlich zu sein, braucht man vor Allem ein gehöriges Mass 
von Naivetät, und um diese zu bekommen, musste wohl der 
Kunstjünger Alles abstreifen und 
von sich weisen, was an eine bis 
herige Auffassung erinnern, was 
das Erlernte etwa beeinflussen 
könnte. Nun stehen wir auch gleich 
beim Curiosum und ich kann mir 
nicht helfen, wenn ich ein unlängst 
ausgestelltesBild,dasdieVerstossung 
aus dem Paradiese darstellte, nicht 
begreifen konnte oder aber über den 
Gottvater mit der Flachsperücke und 
den armen Wicht von einem Adam 
geradezu lächeln musste. Doch ge 
nug der Beispiele. So also schaut 
es jetzt in der neuesten Kunst aus? 
Wenn das Waldmüller sehen 
könnte? Er würde wohl sagen : »Ah, 
das wollte ich nicht, so war es auch 
nicht gemeint. Meine lieben Herren 
Collegen in der Kunst, ich habe 
gekämpft für die Wahrheit und 
bin gegen die gefesselte Phantasie 
der Herkömmlichkeit zu Felde 
gerückt, aber ein Bild der Kunst 
zu schaffen, wie das heutige ist, das 
hätte mir widerstrebt, und um diesen Preis wäre ich lieber Akademiker 
geblieben und hätte keine Leidensgeschichte durchzumachen gehabt, 
gleich dem Heilande, der die Idee des Christenthums in die Welt 
trug und ihr wieder moralischen Halt und ein festes Gefüge gab.« 
E. MOSER. Die kleine Wohltäterin. 
P. von KOUDELKA. Stillleben.
	        
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