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So recht bei der Stange geblieben sind nur Wenige seiner
Schule, ja eigentlich hätten sie die Principien des Meisters fort
bilden und ihn überragen sollen. Er griff
aber gleichsam über sie hinaus und erst
später kam dasjenige zur Geltung, was
durch ihn bereits vollinhaltlich eingeleitet
war. Doch nicht zuerst in Wien, sondern
in Frankreich trat zu Tage, was in seiner
Lehre lag, und von dort erhielten unsere
jungen Talente die Impulse, dass das,
was der Natur, d. i. der Wahrheit ent
sprechen sollte, der Natur auch un
mittelbar nachzubilden sei, und was sich
im Freien zuträgt, auch daselbst gemalt,
mindestens studirt werden müsste. Wer
möchte die Erfolge verkennen, die sich
mit solchen Ueberzeugungen verbanden
und wer würde nicht die Resultate
schätzen, welche sich damit in der ge-
sammten Kunstleistung, namentlich der
zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts, voll
zogen haben? In alle Fächer der Kunst
drang das Streben nach Wahrheit der
Darstellung, und waren es zu Beginn des Jahrhunderts schüchterne
Versuche, so trat ein halbes Säculum später diese Anschauung, der
Erscheinung der Natur in der Kunst
ihr volles Recht zu bewahren, als
gebieterische Forderung auf. So
kam es aber auch leider alsbald
dazu, der Wahrheit die Ideale der
Kunst opfern zu wollen und damit
wuchs immer mehr der Realismus
empor, der ein bisher nie ge
kanntes Uebergewicht erhielt, so
dass es wohl als eine Art von (Kon
sequenz angesehen werden muss,
wenn allmälig das Schöne dem
Natürlichen und das Aesthetische
dem Zufälligen geopfert werden
konnte. Von da an war auch nur
ein Schritt zum Hässlichen, zum
Curiosen und sogenannt Pikanten,
davor man verwundert stehen kann
und fragen: »Was aber wollte der
Künstler wohl damit?«
Mit Darstellungen des Gräss
lichen, mit aller blutigen und zu
gleich scheusslichen Wahrheit
wurde schon vor Decennien der
Anfang gemacht und da ging vor
Allen Belgien voraus; spanische Künstler pflegen heute noch mit Vor
liebe die Darstellungen von Grässlichkeiten, aber auch in Frankreich
finden sich noch immer Maler, die mit erschreckenderWahrheit Scheuss-
lichkeiten dem Publicum auftischen; das sind dann die sogenannten
Sensationsbilder, die das verwöhnte und in seiner Art kunstübersättigte
Publicum auf den Ausstellungen sucht und wenn es sie nicht
findet, gelangweilt davongeht. Ich erinnere
mich, einmal das getreue Abbild der
Leichen in der Morgue, und zwar in
Lebensgrösse gemalt, gesehen zu haben;
an sich war das Bild meisterhaft, aber
denkt man an die durch und durch
ästhetische Erscheinung der Anatomie
von Rembrandt, so gelangt man gegenüber
der heutigen Auffassung solcher Stoffe
zum betrübenden Bewusstsein einerHerab-
gekommenheit in der Kunst, wie sie in
♦
solchem Sinne eigentlich noch nie be
standen hat. Auch die seinerzeit hier ge
sehene und gewiss sehr gut gemalte
Scene im Operationssaale des Professors
Dr. Billroth hört in solcher Gestaltung
und Auffassung auf, als Bild zu gelten,
sondern wirkt vielmehr als eine Zeitungs-
Illustration. Aber dabei blieb der Na
turalismus, dem man nun einmal die
Zügel schiessen Hess, keineswegs stehen.
Um natürlich zu sein, braucht man vor Allem ein gehöriges Mass
von Naivetät, und um diese zu bekommen, musste wohl der
Kunstjünger Alles abstreifen und
von sich weisen, was an eine bis
herige Auffassung erinnern, was
das Erlernte etwa beeinflussen
könnte. Nun stehen wir auch gleich
beim Curiosum und ich kann mir
nicht helfen, wenn ich ein unlängst
ausgestelltesBild,dasdieVerstossung
aus dem Paradiese darstellte, nicht
begreifen konnte oder aber über den
Gottvater mit der Flachsperücke und
den armen Wicht von einem Adam
geradezu lächeln musste. Doch ge
nug der Beispiele. So also schaut
es jetzt in der neuesten Kunst aus?
Wenn das Waldmüller sehen
könnte? Er würde wohl sagen : »Ah,
das wollte ich nicht, so war es auch
nicht gemeint. Meine lieben Herren
Collegen in der Kunst, ich habe
gekämpft für die Wahrheit und
bin gegen die gefesselte Phantasie
der Herkömmlichkeit zu Felde
gerückt, aber ein Bild der Kunst
zu schaffen, wie das heutige ist, das
hätte mir widerstrebt, und um diesen Preis wäre ich lieber Akademiker
geblieben und hätte keine Leidensgeschichte durchzumachen gehabt,
gleich dem Heilande, der die Idee des Christenthums in die Welt
trug und ihr wieder moralischen Halt und ein festes Gefüge gab.«
E. MOSER. Die kleine Wohltäterin.
P. von KOUDELKA. Stillleben.