Full text: Galerie des neunzehnten Jahrhunderts im Oberen Belvedere

Ds Obere Belvedere wird wiederum eine Bildergalerie, wie vor 150 Jahren, 
als die alte kaiserliche Gemäldesammlung aus der Stallburg dahin ge 
langte. Diese Übersiedlung aus der Stallburg ist das erste sichtbare Zeichen 
der tiefgreifenden Wandlungen musealer Kunstpflege, als deren Frucht auch 
die Entstehung der neuen Galerie des 19. Jahrhunderts im Belvedere zu er- 
kennen ist. Durch die Loslösung vom Sitz der Hofhaltung und Verselbständi- 
gung, durch Verzicht auf dekorative Bindung der einzelnen Kunstwerke zu- 
gunsten einer historischen, instruktiven Reihung wurde der museale Charakter 
der Sammlung gestaltet, durch praktische Maßnahmen für den Besuch und 
dessen Propaganda zu Bildungszwecken der Anteil der Öffentlichkeit an dem 
Museum begründet. Die künstlerischen Dogmen des Klassizismus und die 
historische Vorliebe der Romantik schufen auf dem Gebiet der Kunst eine 
Scheidung, die der sozialen Wandlung aus adeliger Exklusivität zu bürger- 
\ licher Gleichheit entsprach: bis zur Epoche der Französischen Revolution reicht 
' das Gebiet der alten, ererbten Kunst, was später entstand, galt und gilt als 
modern. Auch die kaiserliche Sammlung war zur Zeit ihrer Übersiedlung ins 
Belvedere eine aus persönlicher Sammlerfreude ihrer Besitzer entstandene und 
ererbte Galerie alter Meister. Die Werke zeitgenössischer Kunst wurden ihr 
als eigene nationale Schule angegliedert; im Verlauf von 125 Jahren entwickelte 
sich daraus eine moderne Abteilung von beträchtlichem Umfang, aber geringer 
innerer Spannkraft, zunächst verursacht durch den offenen Widerspruch der 
alten seigneuralen und der noch ungeklärten musealen Sammlungsprinzipien. 
Durch die Klassierung als moderne Kunst war diese vom Vergleich mit der 
alten Kunst im Museum geschieden worden, durch die Beschränkung auf die 
heimische Kunst war ein Vergleich mit dem gleichzeitigen Kunstsschaffen 
anderwärts ausgeschaltet worden und das notwendige Prinzip der Auslese 
verlor in höfischen Rücksichten die Kraft, sich durchzusetzen. In den Neun 
zigerjahren des vorigen Jahrhunderts endlich wurde die im Bannkreis ihrer 
Bildungssphäre über 100 Jahre alt gewordene »moderne Kunst« von neuen 
künstlerischen Anschauungen abgelöst, die zur Gründung der Sezession durch 
die Künstler, zur Gründung der Modernen Galerie durch den Staat am Be- 
ginn unseres Jahrhunderts führten. In der Forderung, die Moderne Galerie 
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als Auslese der heimischen und der fremden Kunst unserer Zeit zu gestalten, 
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