Full text: Meisterwerke österreichischer Barockkunst

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Wenn sich bei Maulberfsch die künstlerische Handschrift von der 
Regel befreit, so ist dies keineswegs nur seinem Genie zu danken, son 
dern konnte nur zustande kommen durch das Zusammenwirken mehrerer 
Generationen, die an diesem Vorgang allmählicher Lockerung und Indi 
vidualisierung der Formensprache beteiligt waren. Erst die Vielstimmig 
keit der daran beteiligten Kräfte gibt dem Geschichtsbild die entschei 
dende Dimension. 
Paul Trogers zeichnerisches Figurenideal läßt deutlich seine Be 
ziehung zur harmonischen Formenwelt Donners erkennen. Behend 
quellen die Linienzüge aus der Feder und' gewähren das Schauspiel 
schönster Musikalität. In Platzers Schaffen findet der heiter-graziöse 
Rhythmus des Rokoko Eingang. Der Tiroler Mildorfer wieder setzt 
seine Komposition in rotierende, auf steigende Bewegung: der Entwurf 
zu seinem Hauptwerk, der Kuppel der Wallfahrtskirche in Hafnerberg, 
zeigt einen tiefen Raumtrichter, dessen saugende Gewalt die Gestalten 
zu Fragmenten auflöst. Im Werke des Kremser-Schmidt vermittelt der 
sparsam andeutende, warm tönende Stift eine neue Innerlichkeit des 
Ausdrucks, gepaart mit einem geheimnisvollen Lichtzauber, der die Er 
innerung an Rembrandt wachruft. Mit ihm und Maulbertsch erreicht 
die Entwicklung ihren abschließenden Höhepunkt und tritt bereits in 
das Vorfeld des neuen Stils, des Klassizismus, ein. Gerade Maulbertsch, 
an dessen Formen oft das Kantige und Spitze besonders anzieht, steht 
in manchen seiner späteren Werke dieser Tendenz zur Formenkristalli 
sation nahe. Zugleich aber ist seine Kunst sinnfälligstes Beispiel für 
die Beziehungsfülle, welche das Schaffen des spätbarocken Künstlers 
leitete. Die Zeichnung des fallenden Christus unter dem Kreuz belegt 
sein Verhältnis zu Rembrandt, während seine beiden Genreradierungen 
manche Beziehung zu Hogarth vermuten lassen. Doch ist das Genre eine 
periphere Zone seines Künstlertums. Sein W'erk ist vielmehr „der 
stärkste bildkünstlerische Ausdruck, den der österreichische Katholi 
zismus gefunden hat“ 1 ). Auf den religiösen als den zentralen Bereich 
seines Schaffens muß darum unbedingt der Schwerpunkt gelegt werden. 
Solcherart gibt sein Genie dem Bild der barocken Handzeichnung in 
nur seinen bekrönenden Akzent, sondern macht sie den 
besten Leistungen des europäischen achtzehnten Jahrhunderts eben" 
bürtig, Werner Hofmann, 
') Otto Benesch, Zu Maulbertsch, In 
Galerie 1926, Seite 4. 
Amids“, Jahrbuch der Österreichischen
	        
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