Full text: Zehn ungarische Maler - Ausstellung der ungarischen Maler Wilhelm Aba-Novák, Robert Berény, ...

  
  
  
wird. Zudem ist uns jede hochgespannte Pathetik des Wollens und 
Seiner kategorischen Befehle durchaus wesensfremd. Wir sind eine Nation 
der selbstbewussten und zwanglosen Menschlichkeit. Beileibe nicht 
untüchtig, aber im Grunde doch vielmehr von der asiatischen Weisheit 
des Erleidens als von der abendländischen Rastlosigkeit des Handelns 
beseelt. Wir lassen uns gern vom lieben Gott und der Natur auf Händen 
tragen — und wer wollte uns diesen Hang zur Bequemlichkeit verargen, 
der einmal die von Milch und Honig, von Weizen und Wein überquel- 
lende, strahlende Mütterlichkeit unserer Heimat („unserer gebärenden 
Erde‘‘ heisst es im Ungarischen) erlebt hat? So gut es heissen kann : 
„La douce France‘‘, so treffend wäre es auch „La douce Hongrie‘‘ zu 
sagen. Wo käme denn ‚sonst die schöne fruchtsüsse Erdenseligkeit der 
ungarischen Kunst her? 
Die ungarische Kunst ist reich an Impulsen der Sinnlichkeit und 
des Gefühls, von denen sie sich pflanzenhaft treiben lässt. In dieser 
schmiegsamen Hingabe an die Natur sind alle Schönheiten, aber auch 
alle Grenzen der ungarischen Kunst gegeben. Ihr sind weder die grossen 
baugesetzlichen Ordnungen, noch die abgründigen jenseitstiefen Erschüt- 
terungen der Form wesensmöglich. Sie ist und bleibt auch in ihren neuen 
Erscheinungen eine Kunst der intimen Naturnähe, mit verhältnismässig 
geringen Graden der Vergeistigung und formalen Verarbeitung. Die 
Phantasie, mit der unsere jüngeren Maler das gegenständliche Bild der 
Natur farbig ausserordentlich nuancenreich in Fluss bringen, ist weniger 
konstruktiver oder visionärer, als vielmehr lyrischer Art. 
Diese geringe geistige Spannkraft der Form mag westeuropäischen 
Anschauungen als eine Schwäche erscheinen. Sie ist der Preis, den die 
ungarische Malerei für ihre köstliche, in weiten Atemzügen frei und ruhig 
dahinlebende Natürlichkeit bezahlen muss. Ist diese Harmonie den 
Preis nicht wert in einer Zeit, die so erfüllt ist von Verzerrungen und 
Verkrampftheiten? Geht man durch die Säle des Museums der Schönen 
Künste in Budapest, in denen die Werke der modernen ungarischen 
Malerei ausgestellt sind, so meint man in einer glücklichen Bucht zu 
wandern, mit dem Abglanz ungetrübter Sonnenzeiten im Herzen. Die 
Welt ist schön — trotz allem. 
Die ungarische Malerei hat die entscheidende Selbstbesinnung auf 
die Quellen und Grenzen ihres Wesens dem Naturalismus und Impres- 
sionismus zu verdanken. Diese Richtungen gaben ihr den Mut, sich 
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