Full text: Johann Baptist Reiter 1813-1890

  
  
  
  
  
  
Das Jahr 1842 bringt die entscheidende Wendung: den endgülti- 
gen Durchbruch seines Talentes, ein plötzliches Sichselberfinden, die 
volle Beherrschung der künstlerischen Ausdrucksmittel. Erstaunlich ist 
die Anzahl und Qualität der datierten Bilder, die sich aus diesem 
Jahre in der Ausstellung finden. Zum ersten Mal stehen wir (abge- 
sehen von den „Jünglingen im Feuerofen“') mehrfigurigen Kompo- 
sitionen gegenüber. Vielleicht die früheste, weil noch ein wenig zag- 
haft ausgeführt, ist die „Vermählung‘, die angeblich die Hochzeit 
eines Grafen Gudenus darstellt. Die Szene spielt im Chor einer 
dämmerigen Kirche, aus dem man rechts in das Schiff hineinblickt. 
Das junge Paar, dessen modische Erscheinung mit auffallender Sorg- 
falt wiedergegeben ist, bildet den Mittelpunkt einer Gruppe, deren 
linken Teil Priester und Ministrant, den rechten Teil die Angehörigen 
der Eheleute einnehmen. Das Reizvollste daran sind die Nebenfiguren: 
der Trauzeuge, der aus dem Bilde herausblickt, und die zierlich ar- 
rangierte Kindergruppe im Vordergrund. Das Ganze ist im Charakter 
Alt-Wien — aber koloristisch trotz des Helldunkels bereits auf jenen 
Silberton gestimmt, der mit den Jahren immer deutlicher hervortritt. 
Kompositionell äußert sich eine Neigung zur Rechtwinkeligkeit, zu 
Parallelführungen und leeren Flächen, die Reiters Bildern ein so 
eigentümliches, sprödes Gepräge verleiht. 
Alles, was er bisher an malerischem Können erarbeitet hat, faßt 
der junge J. B. Reiter 'in dem monumentalen Familienbild der Familie 
des Wiener Baumeisters B. Schegar zusammen. Es ist eines der 
frühesten Bilder, auf die man das Wort Freilichtmalerei anwenden 
kann. Ja, es kommt dem Begriff des Impressionismus näher als die 
thematisch entsprechenden Werke Waldmüllers, wie das Bild der 
Familie Eltz, von denen Heinrich Wölfflin einmal gesagt hat, daß sie 
zwar das Sonnenlicht darstellen, aber nicht mit malerischen, sondern 
mit linearen Mitteln. Das Bild enthält nicht weniger als 9 Figuren: 
die Eltern und ihre sieben Kinder. Erstaunlich, mit welcher Sicherheit 
das Problem der Gruppenbildung gelöst ist! Wie die Menschen, von 
dem bewußten und besinnlichen Vater bis zu den spielenden Klein- 
sten, individualisiert und dabei rhythmisch zusammengehalten sind! 
Erstaunlich der Zusammenklang von so viel starken Lokalfarben: 
dem Rosa des Kleides der Mutter, dem Gelb der Hosen des Vaters, 
dem Blau, Braun und Rot an den Kleidern und Anzügen der Kinder! 
Und am erstaunlichsten, wie diese malerische Fülle in das goldene 
Licht eines Sommertages getaucht ist, wie Menschen und Szenerie 
(der Hausgarten der Schegars in Döbling) zusammengehalten sind... 
Reiter hat damals ein Selbstbildnis geschaffen, in dem er, stolz auf 
sein überlegenes Wissen um das Geheimnis der Farbe, das denk- 
bar schwierigste koloristische Problem anpackt und löst — den Auf- 
bau eines Bildes aus den Komplementärfarben Rot und Grün. Der 
neunundzwanzigjährige Künstler malt sich in schwarzer Weste mit 
weißen Streifen, einen feuerroten Shawl locker um den Hals ge- 
schlungen, den linken Arm, dessen Hand den schräg _ gehaltenen 
Kopf stützt, auf einem grünen Polster ruhend — und man muß schon 
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