Full text: Johann Baptist Reiter 1813-1890

Das reizende „Mädchen im Freien‘, das nicht datiert ist, zeigt schon 
durch die Kleidermode, daß es in den Fünfzigerjahren entstanden 
ist. Hier wäre auch das noble Selbstbildnis anzuschließen, das den 
Kopf des etwa Vierzigjährigen auf weinrotem Grund zeigt. Zwar un- 
datiert, aber durch das Lebensalter der Dargestellten ziemlich genau 
bestimmbar ist das Bildnis der Theresa Brayer auf rotem Fauteuil. Die 
spätere, zweite Gattin des Künstlers ist hier ungefähr zwanzigjährig. 
Also dürfen wir das Porträt in die Mitte der Fünfzigerjahre setzen. 
Es zeigt den Arbeiten des vorigen Jahrzehnts gegenüber eine deut- 
liche stilistische Wandlung: die Formen sind plastischer gesehen, 
die Lokalfarben sind gedämpfter, die Details werden zurückgedrängt. 
Auf dem „Ruhenden Mädchen“ ist zweifellos wieder Theresa dar- 
gestellt. Das Bild, das noch zu der Stilgruppe des zweiten Rococo 
gehört, ist keinesfalls später entstanden als das vorige. 1855 stellt 
Reiter das „Kind mit Johannesbeeren‘ aus, und obgleich dieses 
Bildchen seinem bescheidenen Format nach kaum auffällt, ist es be- 
deutsam durch die Ueberwindung des dekorativen Ueberschwangs 
zugunsten einer fast asketischen Einfachheit. Ja, die Darstellung dieses 
kleinen, auf dem Teppich in der Ecke eines leeren Zimmers 
sitzenden Kerlchens ist schonungslos in ihrem Realismus, der umso 
packender wirkt, als er naiv ist. 
Wenn aber die Sinnlichkeit des Künstlers mit seiner Unbefangenheit 
zusammenwirkt, ergeben sich große und neuartige Möglichkeiten. 
Drei der bedeutendsten unter seinen bisher bekannt gewordenen 
Bildern gehören nach ihrer stilistischen Uebereinstimmung mit der 
Theresa auf dem roten Fauteuil ebenfalls in die Mitte der Fünfziger- 
jahre: Die „Jugend“, der „Frauenkopf‘“ der‘ Czernin-Galerie und die 
„Junge Frau beim Fußbad“. Die „Jugend“ ist das Kniestück eines 
stehenden Mädchens von etwa 18 Jahren, das mit der linken Hand 
das herabgeglittene, blaugraue Gewand an der rechten Brust fest- 
hält. Mit leicht geöffneten Lippen schaut die Schöne ins Weite: er- 
wartungsvoll, alle Wunder des Daseins zu schauen. Wie beseelt ist 
sie! Und wie ist alles Leben auf die Figur konzentriert! Sie steht 
nobel wie eine Prinzessin des Velazquez vor neutralem grauem 
Grund. Der kahle Raum erhält nur durch eine rote Portiere ein ge- 
dämpftes Leben. 
Der „Frauenkopf‘“ beim Grafen Czernin hat nicht nur eine phy- 
siognomische Aehnlichkeit mit der „Jugend“, sondern. schließt sich 
auch stilistisch an dieses Bild an. Es ist ein Werk von großem seeli- 
schem Adel und einer Reinheit der Formensprache, die von fern 
an Feuerbach erinnert; aber die für Johann Baptist Reiter so be- 
zeichnende Zärtlichkeit des Gefühls schließt von vornherein alles 
klassizistisch Marmorne aus. Das Bild ist innig erlebt. 
Die „Junge Frau beim uFßbad“ sitzt mit. um die Hüfte geschlun- 
genem Hemd nackt auf einem strohgeflochtenen einfachen. Stuhl. 
Mächtig und lieblich ist ihr Körper. Die Formen groß gesehen und 
doch nirgends leer. Licht und Schatten spielen auf ihrer klaren 
Haut. Der Kopf, leicht gesenkt, ist von Halblicht umflossen. Die ganze 
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