Full text: Johann Baptist Reiter 1813-1890

  
  
  
  
  
  
  
  
  
Studium als Luxusausgabe des Trompeters von Säkkingen. Sein un- 
zertrennliches Geschwister ist das gestickte Deckchen, das wie ein 
Ausschlag die Polstermöbel heimsucht. 
Die Kleidung selbst mit dem Cul de Paris gleicht einer wilden 
Wucherung von Textilien. Man sehe sich die „Dame: mit Uhr” an, 
auf der Reiter sichtlich dem modischen Zauber unterliegt: dies ist — 
bei aller Gekonntheit im Einzelnen — „Töchteralbum“, überzüchtete 
Salonkultur. Und das wird noch übersteigert in dem Bild, dessen 
Kernpunkt eben das Symbol der Epoche, das Album selbst, bildet. 
Ein halbwüchsiges Mädchen in rosa Spitzenkleid hält mit lächelnder 
Affektiertheit das aufgeschlagene Album, während über ihren Fauteuil 
gebeugt eine erwachsene junge Frau in blauem, rüschenrauschendem 
Gewand ihr etwas auf der aufgeschlagenen Seite zeigt. Der Raum, 
in dem sich diese künstlich gestellte Szene abspielt, ist ein Salon 
von phantastisch outrierter Eleganz. Wäre das Bildchen nicht von 
juwelenhafter Farbigkeit, so wäre es nicht zu verteidigen. Immerhin: 
Die Gefahr des Manierismus lag mehr als nahe. Da gab dem Künstler 
sein Töchterchen Lexi den Impuls, die leerlaufende Welt des Töchter- 
albums mit dem Blut der Wirklichkeit zu füllen. 
Er malte Lexi als etwa zehnjähriges Mädchen, ein Sträußchen mit 
Löwenzahn in der preziös erhobenen linken Hand — und mit diesem 
Bild ist auf einmal die ganze Fülle des Lebens wieder da, die die 
Bilder der Vierzigerjahre erfüllt. Nur ist alles gedämpfter. Ein Leben 
liegt dazwischen. Es ist nicht mehr die Frau, nicht mehr die Ge- 
liebte, die ihn inspiriert, sondern die Tochter. Johann Baptist Reiter 
ist behutsam geworden. Er streichelt die Wangen des Kindes mit den 
Augen. Er erlöst die Phantasie des Töchteralbums vom Kitsch und 
realisiert einen Traum von neuer Romantik, von Seide und' Blumen, 
von zivilisierter Magie, von hochbürgerlicher Lyrik... Und er trifft 
sich mit seinem jüngeren Kollegen, mit Romako, der mit seinem 
Bildnis. der Kaiserin Elisabeth etwas ganz Aehnliches hervorgebracht 
hat: ein erlesenes Kunstwerk am Rande, der Decadence. 
Johann Baptist Reiter hat mit dem „Mädchen mit Blumen“ ein re- 
präsentatives Werk der Richtung geschaffen, die in dem ebenfalls 
erst in diesem Jahre (in London) wiederentdeckten James Tissot ihren 
größten westeuropäischen Vertreter hat. Immer wieder — und das 
ist bedeutungsvoll — muß man nach Paris blicken, wenn man 
Reiters Kunst in den Entwicklungszusammenhang seiner Zeit einfügen 
will, Dieser Oesterreicher, der sicherlich nichts von dem kannte, 
was gleichzeitig in Paris an zukunftsreichen Dingen entstand, bildet 
ein lebhaftes Zeugnis für die innere Verwandtschaft des österreichi- 
schen Geistes mit der westeuropäischen Kultur. 
Auf dem mit dem „Mädchen mit Blumen‘ eingeschlagenen Wege 
sollte ihm auch noch einmal ein starker Publikumserfolg beschieden 
sein: das Bild, das hier „Weinlese” genannt ist, gefiel offenbar so 
gut, daß er es immer wieder machen mußte. Nicht weniger als sechs 
verschiedene Fassungen sind davon aufgetaucht. Die wahrscheinlich 
früheste (um 1879) ist rechteckig und zeigt Lexi als etwa fünfzehn- 
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