Studium als Luxusausgabe des Trompeters von Säkkingen. Sein un-
zertrennliches Geschwister ist das gestickte Deckchen, das wie ein
Ausschlag die Polstermöbel heimsucht.
Die Kleidung selbst mit dem Cul de Paris gleicht einer wilden
Wucherung von Textilien. Man sehe sich die „Dame: mit Uhr” an,
auf der Reiter sichtlich dem modischen Zauber unterliegt: dies ist —
bei aller Gekonntheit im Einzelnen — „Töchteralbum“, überzüchtete
Salonkultur. Und das wird noch übersteigert in dem Bild, dessen
Kernpunkt eben das Symbol der Epoche, das Album selbst, bildet.
Ein halbwüchsiges Mädchen in rosa Spitzenkleid hält mit lächelnder
Affektiertheit das aufgeschlagene Album, während über ihren Fauteuil
gebeugt eine erwachsene junge Frau in blauem, rüschenrauschendem
Gewand ihr etwas auf der aufgeschlagenen Seite zeigt. Der Raum,
in dem sich diese künstlich gestellte Szene abspielt, ist ein Salon
von phantastisch outrierter Eleganz. Wäre das Bildchen nicht von
juwelenhafter Farbigkeit, so wäre es nicht zu verteidigen. Immerhin:
Die Gefahr des Manierismus lag mehr als nahe. Da gab dem Künstler
sein Töchterchen Lexi den Impuls, die leerlaufende Welt des Töchter-
albums mit dem Blut der Wirklichkeit zu füllen.
Er malte Lexi als etwa zehnjähriges Mädchen, ein Sträußchen mit
Löwenzahn in der preziös erhobenen linken Hand — und mit diesem
Bild ist auf einmal die ganze Fülle des Lebens wieder da, die die
Bilder der Vierzigerjahre erfüllt. Nur ist alles gedämpfter. Ein Leben
liegt dazwischen. Es ist nicht mehr die Frau, nicht mehr die Ge-
liebte, die ihn inspiriert, sondern die Tochter. Johann Baptist Reiter
ist behutsam geworden. Er streichelt die Wangen des Kindes mit den
Augen. Er erlöst die Phantasie des Töchteralbums vom Kitsch und
realisiert einen Traum von neuer Romantik, von Seide und' Blumen,
von zivilisierter Magie, von hochbürgerlicher Lyrik... Und er trifft
sich mit seinem jüngeren Kollegen, mit Romako, der mit seinem
Bildnis. der Kaiserin Elisabeth etwas ganz Aehnliches hervorgebracht
hat: ein erlesenes Kunstwerk am Rande, der Decadence.
Johann Baptist Reiter hat mit dem „Mädchen mit Blumen“ ein re-
präsentatives Werk der Richtung geschaffen, die in dem ebenfalls
erst in diesem Jahre (in London) wiederentdeckten James Tissot ihren
größten westeuropäischen Vertreter hat. Immer wieder — und das
ist bedeutungsvoll — muß man nach Paris blicken, wenn man
Reiters Kunst in den Entwicklungszusammenhang seiner Zeit einfügen
will, Dieser Oesterreicher, der sicherlich nichts von dem kannte,
was gleichzeitig in Paris an zukunftsreichen Dingen entstand, bildet
ein lebhaftes Zeugnis für die innere Verwandtschaft des österreichi-
schen Geistes mit der westeuropäischen Kultur.
Auf dem mit dem „Mädchen mit Blumen‘ eingeschlagenen Wege
sollte ihm auch noch einmal ein starker Publikumserfolg beschieden
sein: das Bild, das hier „Weinlese” genannt ist, gefiel offenbar so
gut, daß er es immer wieder machen mußte. Nicht weniger als sechs
verschiedene Fassungen sind davon aufgetaucht. Die wahrscheinlich
früheste (um 1879) ist rechteckig und zeigt Lexi als etwa fünfzehn-
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