Full text: Johann Baptist Reiter 1813-1890

jähriges Mädchen in ‚einem Weinberg stehend, reich. in der Mode 
der zweiten Hälfte der Siebzigerjahre gekleidet, in der Rechten ein 
Körbchen mit einer Traube haltend. Das lächelnde, Gesicht mit den 
leicht geöffneten Lippen ist dem Betrachter zugekehrt. Das in Lok- 
ken herabfallende blonde Haar ist mit Weinlaub bekränzt. Der 
Himmel ist dunkel von ziehenden Abendwolken, wie auf englischen 
Porträts des XVIIll. Jahrhunderts. Das Bild ist glatt gemalt, mehr 
oder weniger in Anlehnung an Reiters Frühzeit. Er hat es auch 
als ovalen Ausschnitt ohne die Hand mit der Traube gefaßt. 
Das 1878 datierte Bild einer alten Dame ist noch frontal gesehen, wie 
seine ersten Biedermeierporträts, denen es sich auch äußerlich durch 
die Spitzenhaube und Kinnschleife annähert. Aber es bekommt den 
Galerieton, der damals besonders in München gepflegt wurde, und 
der malerische Vortrag a la prima mit den subtilen Valeurs läßt an 
Wilhelm Leibl denken (und zwar merkwürdigerweise an eine spätere 
Epoche des Meisters). Allerdings steht dieses Bild vorläufig in 
Reiters Genre allein. 
Ins Ende der siebziger Jahre fällt jedoch noch- eine erstaunliche 
Wendung des Künstlers, die in der „Aepfelschälerin“ und dem 
„Mädchen mit Johannesbeerkörbchen“ Zeugnisse einer malerischen 
Anschauung von überraschender Frische und Vitalität hervorgebracht 
hat. Die „Aepfelschälerin“, ein Bildnis seiner Frau mit einem kleinen 
Knaben in der Küche, ist breit, saftig, starkfarbig und so locker ge- 
malt, daß sich der Namen Manet unwillkürlich- auf die Lippen 
drängt. Nie ist Reiter dem französischen Impressionismus so nahe 
gekommen, wie zu dieser Zeit seines Lebens — ja, angesichts des 
Mädchens mit dem Ribiselkörbchen, das viel weiter vereinfacht und 
noch kühner in der Farbe ist mit seinem kalten Blau der Taille 
und seiner rosa Mauernische im Hintergrund, denkt man an gewisse 
frühe Werke Cezannes. Seltsame Berührung! Reiter hat zu gleicher 
Zeit auch glattere Bilder gemalt — Bilder in der Art Tissots — wie 
den „Hanfhandel‘, auf dem wieder seine Frau Modell gesessen 
hat und dessen reizvollstes Detail ihr wundervoll gemaltes grünes 
Kleid ist, aber er hat die Experimente seiner Spätzeit nicht mehr 
fortgesetzt. Das letzte Jahrzehnt ‚seines Lebens blieb leer. Eine 
Zeichnung aus seinem letzten Lebensjahr, mit zitternden Strichen 
aufs Papier gesetzt, spricht nur noch von Müdigkeit und Schwäche. 
17 
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.