Full text: Johann Baptist Reiter 1813-1890

scheint ein reizvolles, aber keineswegs für ein bürgerliches. Ehe- 
leben geeignetes Geschöpf gewesen zu sein. Wenn wir sie in der 
Darstellung der im Bett liegenden jungen Frau erkennen dürfen, 
die auf der Ausstellung „Der nackte Mensch" 1933 auftauchte, so 
können wir uns vorstellen, welch starke künstlerischen Impulse ihre 
körperliche Erscheinung dem Maler Reiter gegeben haben wird. 
Näheres ist jedoch über diese Epoche seines Lebens nicht bekannt 
geworden, ja wir kennen nicht einmal den Taufnamen und Lebens- - 
daten dieser Frau. Die Ehe hat nicht lange gehalten. Reiter hatte 
von seiner ersten Frau einen Sohn, der mit 4 Jahren gestorben 
ist. Vermutlich hat die Trennung Reiters von seiner Frau um 1850 
statigefunden, denn seither kommt sie als Modell in seinem Quevre 
nicht mehr vor. In der Mitte der Fünfzigerjahre fand er in der schö- 
nen, 1836 geborenen Näherin Anna Josefa Theresa Brayer aus 
Zru& in Böhmen ein neues Modell. Theresa wurde seine Lebens- 
gefährtin und gebar ihm in der ersten Hälfte der Sechzigerjahre zwei 
Kinder, einen Sohn und eine Tochter. Am 28. November 1866 
konnte er mit der Mutter seiner Kinder die Ehe eingehen: seine 
erste Frau war inzwischen — wir dürfen annehmen um 1865 — ge- 
storben. 
In dem Zeitraum zwischen seinen beiden Ehen hat Reiter seinen 
glanzvollen Aufstieg zunächst fortgesetzt. Für ein Porträt bekam er 
nicht weniger als 100 Dukaten. Er trat daraufhin als Grandseigneur 
auf, fuhr im Viererzug über die Wiedener Hauptstraße und hielt 
sich einen Mohren als. Kammerdiener. Diese Herrlichkeit dauerte 
allerdings nicht lange, und sehr bald finden wir ihn bereits wieder 
in engen Verhältnissen. Er hat damals ein merkwürdiges und 
mysteriöses Leben geführt. Von Zeit zu Zeit verschwand er auf 
Monate, ohne irgend jemand anzugeben wohin. Wenn er zurück- 
kam, brachte er angeblich Bilder aus dem Zigeunerleben mit, und 
man hat daraus schließen wollen, daß er sich bei Zigeunertrupps 
aufgehalten hat. Auch in Rußland soll er auf einem Schloß eine 
Weile gelebt und gearbeitet haben. Wie dem auch gewesen sein 
mag: ‚in dem Augenblick, als er Theresa Brayer geheiratet hatte, 
war es mit seiner Freiheit gründlich aus. Die ehemalige arme Näherin 
verwandelte sich in eine anspruchsvolle Bürgerfrau, deren Lebens- 
haltung erstaunlich. viel Geld verschlang. Sie liebte Eleganz, Ver- 
gnügungen, Gesellschaft — und Johann Baptist mußte dafür auf- 
kommen. Außerdem aber war sie eifersüchtig. und- erlaubte ihm 
keine fremden weiblichen Modelle mehr. Aktbilder verschwinden 
also damals so gut wie vollständig aus seinem Oeuvre. Er mußte 
seine Produktion übersteigern, um die Mittel für seinen Haushalt 
zusammenzubringen. Dieser Umstand, verbunden mit der Fesselung 
seiner Phantasie durch eine verständnislose Frau, verursachte eine 
steigende Ungleichmäßigkeit seiner Arbeiten, die ihm von den 
Zeitgenossen stark verübelt wurde. Allerdings scheint es, als ob 
die absprechenden Kritiken, die über seine Werke laut wurden, 
nur teilweise auf wirkliche Mängel zurückzuführen sind. Im wesent- 
7. 
 
	        
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