scheint ein reizvolles, aber keineswegs für ein bürgerliches. Ehe-
leben geeignetes Geschöpf gewesen zu sein. Wenn wir sie in der
Darstellung der im Bett liegenden jungen Frau erkennen dürfen,
die auf der Ausstellung „Der nackte Mensch" 1933 auftauchte, so
können wir uns vorstellen, welch starke künstlerischen Impulse ihre
körperliche Erscheinung dem Maler Reiter gegeben haben wird.
Näheres ist jedoch über diese Epoche seines Lebens nicht bekannt
geworden, ja wir kennen nicht einmal den Taufnamen und Lebens- -
daten dieser Frau. Die Ehe hat nicht lange gehalten. Reiter hatte
von seiner ersten Frau einen Sohn, der mit 4 Jahren gestorben
ist. Vermutlich hat die Trennung Reiters von seiner Frau um 1850
statigefunden, denn seither kommt sie als Modell in seinem Quevre
nicht mehr vor. In der Mitte der Fünfzigerjahre fand er in der schö-
nen, 1836 geborenen Näherin Anna Josefa Theresa Brayer aus
Zru& in Böhmen ein neues Modell. Theresa wurde seine Lebens-
gefährtin und gebar ihm in der ersten Hälfte der Sechzigerjahre zwei
Kinder, einen Sohn und eine Tochter. Am 28. November 1866
konnte er mit der Mutter seiner Kinder die Ehe eingehen: seine
erste Frau war inzwischen — wir dürfen annehmen um 1865 — ge-
storben.
In dem Zeitraum zwischen seinen beiden Ehen hat Reiter seinen
glanzvollen Aufstieg zunächst fortgesetzt. Für ein Porträt bekam er
nicht weniger als 100 Dukaten. Er trat daraufhin als Grandseigneur
auf, fuhr im Viererzug über die Wiedener Hauptstraße und hielt
sich einen Mohren als. Kammerdiener. Diese Herrlichkeit dauerte
allerdings nicht lange, und sehr bald finden wir ihn bereits wieder
in engen Verhältnissen. Er hat damals ein merkwürdiges und
mysteriöses Leben geführt. Von Zeit zu Zeit verschwand er auf
Monate, ohne irgend jemand anzugeben wohin. Wenn er zurück-
kam, brachte er angeblich Bilder aus dem Zigeunerleben mit, und
man hat daraus schließen wollen, daß er sich bei Zigeunertrupps
aufgehalten hat. Auch in Rußland soll er auf einem Schloß eine
Weile gelebt und gearbeitet haben. Wie dem auch gewesen sein
mag: ‚in dem Augenblick, als er Theresa Brayer geheiratet hatte,
war es mit seiner Freiheit gründlich aus. Die ehemalige arme Näherin
verwandelte sich in eine anspruchsvolle Bürgerfrau, deren Lebens-
haltung erstaunlich. viel Geld verschlang. Sie liebte Eleganz, Ver-
gnügungen, Gesellschaft — und Johann Baptist mußte dafür auf-
kommen. Außerdem aber war sie eifersüchtig. und- erlaubte ihm
keine fremden weiblichen Modelle mehr. Aktbilder verschwinden
also damals so gut wie vollständig aus seinem Oeuvre. Er mußte
seine Produktion übersteigern, um die Mittel für seinen Haushalt
zusammenzubringen. Dieser Umstand, verbunden mit der Fesselung
seiner Phantasie durch eine verständnislose Frau, verursachte eine
steigende Ungleichmäßigkeit seiner Arbeiten, die ihm von den
Zeitgenossen stark verübelt wurde. Allerdings scheint es, als ob
die absprechenden Kritiken, die über seine Werke laut wurden,
nur teilweise auf wirkliche Mängel zurückzuführen sind. Im wesent-
7.