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Das Märchen von den Sieben Raben
und der treuen Schweiter,
AIDS
I.
ine Mutter hatte ein brayes Mädchen und |
4 A) osieben Buben, die immer mehr zu essen |
A wollten, als da war. Da fluchte sie ihnen |
und schrie: „Ihr wäret besser Raben!“ Da!
flogen sie als Raben fort, die Mutter fiel
todt hin und das Mädchen blieb allein übrig.
Sie lief den Raben nach bis Abends in den
Wald hinein, bis die Kräfte sie verliessen und |
sie am Wasserfall zusammenfiel. Da fand sie
eine gütige Fee, hob sie auf und liess sich ihr '
Leid klagen, und als sie alles gehört, sagte sie
dem Mädchen: „Wenn du schwörst, sieben
Jahre zu schweigen und schweigend sieben
Hemden zu spinnen, so kannst du deine Brüder
erlösen.‘“ Sie hatte das von Herzen ‚geschworen
und wohnte sechs Jahre läng in einem hohlen
Baum und spann ungestört sechs Jahre lang
schweigend. — Nun sehen wir am Quell im
grünen Wald eine mittelalterliche Jagd-Gesell-
schaft anlangen; der reichen Beute troh,schöpfen |
sie sich zu trinken, aber auf der Höhe bläst |
einer nach einem abwesenden Genossen, ein
anderer deutet auf den Pfad in’s Dickicht, auf
dem er verschwunden. |
IT.
3 er Vermisste aber erblickt auf dem an-
dern Bilde ein gar seltsames Wild, eine
<< wunderschöne Jungfrau, spinnend im
hohlen Baumstamm, der sie wie eine Nische
umschliesst. Voll Entzücken sieht er zu ihr
hinauf, schamhaft und erschreckt sie zu ihm
nieder, — Bald hält sie der jugendliche Königs-
sohn, unı sie herabzuheben auf dem Arme; ihr
langes blondes Haar umfliesst die keuschen
Glieder, die Composition von unendlicher Innig-
keit und zarter Reinheit lässt es selbst im
Verborgenen, ob ihre”Lippen einander küssen.
— Der Jüngling führt sie auf seinem Ross von
dannen und zeigt ihr die Stammburg, der sie
nahe kommen, aber immer schweigend bleibt
sie, nur mit dem Zeigefinger den Mund be-
rührend, Mit unendlicher Liebe sieht er sie an,.
er vertraut ihr, auch wenn er sie nicht versteht,
HT.
ie soll seine Gattin werden, der Hoch-
Sieitseug harrt; der Geliebte winkt, bräut-
lich wird sie von seinen Schwestern ge-
schmückt, aber: ihr Blick ruht auf den sieben
Raben, die über ihrem Haupte fliegen, und treu
dem Gelübde spricht sie kein Wort. — Die
glücklichen Gatten wandeln im Glanz der Sonne
durch eine blühende Landschaft, und finden ihre
Freude am Wohlthun; bei der armen Frau mit
den hungernden Knaben, die sie beschenkt, mag
sie der Brüder gedenken. — In der Mitte der
Nacht aber steigt sie aus dem Bett und spinnt
beim Schein des Mondes; ist doch das siebente
Hemd im siebenten Jahre noch zu vollenden,
Sinnend, als ob er das Räthsel gern lösen wollte,
sieht der Gatte ihr zu.
IV.
Ay un wird sie Mutter zweier Knaben. Wie
Ne die Kinder gebadet werden sollten,
565 da fliegen sie als junge Raben davon,
Das komische Entsetzen der Amme contrastirt
mit dem schmerzlichen Schrecken des Gatten,
mit dem wehevollen Dulderblick der scham-
haften Wöchnerin, der die Fee erscheint, auch
jetzt noch zum Schweigen mahnend. — Aber
die Prüfungen sind noch nicht zu Ende, Das
Gericht bemächtigt sich der seltsamen Be-
| gebenheit und die unschuldige Mutter wird als
Hexe zum Feuertod verdammt; gebunden kniet
sie vor den vermummten Richtern, die den Stab
über sie brechen. Der düstre Ton der Beleuch-
tung ist hier der Stimmung eben so gemäss als
früher das Helldunkel des Waldes, der heitere
Sonnenschein, das träumerische Mondlicht,
V.
ereits wird der Holzstoss geschichtet und
Bus Todesurtheil zum Gemahl gebracht,
«der sein Herzeleid im Arme der Schwe-
ster bergen möchte. — Indessen wird die ge-
liebte Gattin als Verbrecherin gefesselt; sie
hat ihr Schweigen nicht gebrochen, und gott-
ergeben, in aller Noth durch ihre Glaubenszu-
versicht verklärt, schaut sie der Fee entgegen,
die mit der Sanduhr an ihr vorüber schwebt
und die Stunde zeigt, die bald verronnen sein
wird. — ven Wagen, der die edle Dulderin
zur Richtstatt führen soll, umdrängt das Volk;
die Armen, die Kinder, denen sie wohlgethan,
möchten gern den Gang der Räder hemmen;
ihr Bitten und Flehen verzögert den Zug, und die
verhängnissvolle Stunde wird bald vorüber sein.
VI.
zz) um Walde fliegt die Fee mit den sieben
Hemden, die sie den sieben Raben bringt.
My — Wie aber die treue Schwester oben
auf dem Scheiterhaufen steht, da ist die letzte
Stunde des siebenten Jahres vorüber, da kom-
men die erlösten Brüder auf weissen Rossen
freudig herangebraust, nur für einen hat das
siebente Hemd im Kerker nicht fertig werden
können und ein Rabenflügel erinnert an die
frühere Gestalt, da grüsst nun die Mutter mit
einem Freudenschrei die eigenen Zwillings-
kinder, welche die Fee ihr entgegenbringt, da
jauchzt das Volk, dass die Henker mit dem
Feuerbecken abziehen, da umschlingt der Gatte
die Füsse des geliebten Weibes; wie im Finale
einer Oper sind alle Mitwirkenden versammelt,
und alle streitenden, ringenden Klänge zu einem
Jubelaccord der Versöhnung verschmolzen, zu
einem Wohllaut freudiger Rührung, die dort
sich. einstellt, wo der reine Adel der Natur
siegreich die Widersprüche des Lebens löst
und wir in die innerste Tiefe der Menschen-
brust und in das geheimnissvolle Walten der
Vorsehung schauen,
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