Full text: Weihnachts-Ausstellung des Oesterreichischen Kunstvereins in Wien - das Märchen von den Sieben Raben und der treuen Schwester - Aquarell-Zeichnungen von Moritz von Schwind

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Das Märchen von den Sieben Raben 
und der treuen Schweiter, 
AIDS 
I. 
ine Mutter hatte ein brayes Mädchen und | 
4 A) osieben Buben, die immer mehr zu essen | 
A wollten, als da war. Da fluchte sie ihnen | 
und schrie: „Ihr wäret besser Raben!“ Da! 
flogen sie als Raben fort, die Mutter fiel 
todt hin und das Mädchen blieb allein übrig. 
Sie lief den Raben nach bis Abends in den 
Wald hinein, bis die Kräfte sie verliessen und | 
sie am Wasserfall zusammenfiel. Da fand sie 
eine gütige Fee, hob sie auf und liess sich ihr ' 
Leid klagen, und als sie alles gehört, sagte sie 
dem Mädchen: „Wenn du schwörst, sieben 
Jahre zu schweigen und schweigend sieben 
Hemden zu spinnen, so kannst du deine Brüder 
erlösen.‘“ Sie hatte das von Herzen ‚geschworen 
und wohnte sechs Jahre läng in einem hohlen 
Baum und spann ungestört sechs Jahre lang 
schweigend. — Nun sehen wir am Quell im 
grünen Wald eine mittelalterliche Jagd-Gesell- 
schaft anlangen; der reichen Beute troh,schöpfen | 
sie sich zu trinken, aber auf der Höhe bläst | 
einer nach einem abwesenden Genossen, ein 
anderer deutet auf den Pfad in’s Dickicht, auf 
dem er verschwunden. | 
IT. 
3 er Vermisste aber erblickt auf dem an- 
dern Bilde ein gar seltsames Wild, eine 
<< wunderschöne Jungfrau, spinnend im 
hohlen Baumstamm, der sie wie eine Nische 
umschliesst. Voll Entzücken sieht er zu ihr 
hinauf, schamhaft und erschreckt sie zu ihm 
nieder, — Bald hält sie der jugendliche Königs- 
sohn, unı sie herabzuheben auf dem Arme; ihr 
langes blondes Haar umfliesst die keuschen 
Glieder, die Composition von unendlicher Innig- 
keit und zarter Reinheit lässt es selbst im 
Verborgenen, ob ihre”Lippen einander küssen. 
— Der Jüngling führt sie auf seinem Ross von 
dannen und zeigt ihr die Stammburg, der sie 
nahe kommen, aber immer schweigend bleibt 
sie, nur mit dem Zeigefinger den Mund be- 
rührend, Mit unendlicher Liebe sieht er sie an,. 
er vertraut ihr, auch wenn er sie nicht versteht, 
HT. 
ie soll seine Gattin werden, der Hoch- 
Sieitseug harrt; der Geliebte winkt, bräut- 
lich wird sie von seinen Schwestern ge- 
schmückt, aber: ihr Blick ruht auf den sieben 
Raben, die über ihrem Haupte fliegen, und treu 
dem Gelübde spricht sie kein Wort. — Die 
glücklichen Gatten wandeln im Glanz der Sonne 
durch eine blühende Landschaft, und finden ihre 
Freude am Wohlthun; bei der armen Frau mit 
den hungernden Knaben, die sie beschenkt, mag 
sie der Brüder gedenken. — In der Mitte der 
Nacht aber steigt sie aus dem Bett und spinnt 
beim Schein des Mondes; ist doch das siebente 
Hemd im siebenten Jahre noch zu vollenden, 
Sinnend, als ob er das Räthsel gern lösen wollte, 
sieht der Gatte ihr zu. 
  
  
IV. 
Ay un wird sie Mutter zweier Knaben. Wie 
Ne die Kinder gebadet werden sollten, 
565 da fliegen sie als junge Raben davon, 
Das komische Entsetzen der Amme contrastirt 
mit dem schmerzlichen Schrecken des Gatten, 
mit dem wehevollen Dulderblick der scham- 
haften Wöchnerin, der die Fee erscheint, auch 
jetzt noch zum Schweigen mahnend. — Aber 
die Prüfungen sind noch nicht zu Ende, Das 
Gericht bemächtigt sich der seltsamen Be- 
| gebenheit und die unschuldige Mutter wird als 
Hexe zum Feuertod verdammt; gebunden kniet 
sie vor den vermummten Richtern, die den Stab 
über sie brechen. Der düstre Ton der Beleuch- 
tung ist hier der Stimmung eben so gemäss als 
früher das Helldunkel des Waldes, der heitere 
Sonnenschein, das träumerische Mondlicht, 
V. 
ereits wird der Holzstoss geschichtet und 
Bus Todesurtheil zum Gemahl gebracht, 
«der sein Herzeleid im Arme der Schwe- 
ster bergen möchte. — Indessen wird die ge- 
liebte Gattin als Verbrecherin gefesselt; sie 
hat ihr Schweigen nicht gebrochen, und gott- 
ergeben, in aller Noth durch ihre Glaubenszu- 
versicht verklärt, schaut sie der Fee entgegen, 
die mit der Sanduhr an ihr vorüber schwebt 
und die Stunde zeigt, die bald verronnen sein 
wird. — ven Wagen, der die edle Dulderin 
zur Richtstatt führen soll, umdrängt das Volk; 
die Armen, die Kinder, denen sie wohlgethan, 
möchten gern den Gang der Räder hemmen; 
ihr Bitten und Flehen verzögert den Zug, und die 
verhängnissvolle Stunde wird bald vorüber sein. 
VI. 
zz) um Walde fliegt die Fee mit den sieben 
Hemden, die sie den sieben Raben bringt. 
My — Wie aber die treue Schwester oben 
auf dem Scheiterhaufen steht, da ist die letzte 
Stunde des siebenten Jahres vorüber, da kom- 
men die erlösten Brüder auf weissen Rossen 
freudig herangebraust, nur für einen hat das 
siebente Hemd im Kerker nicht fertig werden 
können und ein Rabenflügel erinnert an die 
frühere Gestalt, da grüsst nun die Mutter mit 
einem Freudenschrei die eigenen Zwillings- 
kinder, welche die Fee ihr entgegenbringt, da 
jauchzt das Volk, dass die Henker mit dem 
Feuerbecken abziehen, da umschlingt der Gatte 
die Füsse des geliebten Weibes; wie im Finale 
einer Oper sind alle Mitwirkenden versammelt, 
und alle streitenden, ringenden Klänge zu einem 
Jubelaccord der Versöhnung verschmolzen, zu 
einem Wohllaut freudiger Rührung, die dort 
sich. einstellt, wo der reine Adel der Natur 
siegreich die Widersprüche des Lebens löst 
und wir in die innerste Tiefe der Menschen- 
brust und in das geheimnissvolle Walten der 
Vorsehung schauen, 
  
  
  
  
  
  
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