Full text: Von Frauen bewundert, von Männern unverstanden? Max Klingers Urteil des Paris (Curator's Choice, Nr. 2, 2022)

ROLF H. JOHANNSEN CURATOR‘S CHOICE 
# 2 / 2022 
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9 Akademische Kunstausstellung Dresden, 1895, S. 10, Kat.-Nr. 109 mit Abb. 
ebenfalls gemalten, „leben sech t“ kolorierten Büste einer Frau wird. 
Der wiederu m pla stisch gef ormte Kopf des Titanen auf der ander en 
Seite des Bildes hingegen spr engt die Rahmenarchitektur regelrecht. 
Über ihm ragt der (gemalte) Schwanz eines Ungeheuers empor, an den 
das schreckenerregende Haupt der Medusa – wer von ihrem Blick ge- 
troffen wur de, erstarrte zu Stein – gekettet und mit seine n Schl angen- 
haaren gebu nden ist. Hinter dem Medusenhaupt befindet sich die 
geflügelte Figur von Amor 
(⟶ 
Abb. 5) – eine einde utige Anspielung 
auf die Schattenseiten der Liebe wie auch auf den weiteren Verlauf 
des Myt hos: Mit sein er Wahl löste Paris den Trojanischen Krieg aus. 
Aphrodite hatte ihm die sc hönste Frau der Welt versprochen, sollte sie 
den Wettstreit gewinnen. Die schönste Frau der Welt war Helena. Ihr 
Vater hatte den zahllosen Freiern, die um ihre Hand anhielten, den Eid 
abgenommen, Helenas Wahl, die auf den griechischen König Menelaos 
fiel, zu verteidigen. Als Paris Helena nun mit sich nahm, sahen sich die 
Griechen in der Pflich t und zogen in den Krieg gegen Troja. Das Ende ist 
bekannt: Troja fiel und Helena wurde von Menelaos heim nach Spart a 
geführt. 
„Antike“ hatte um 1900 K onjunktur . Gespannt verfolgte man seit den 
1870er-Jahren die Ausgrabungen Hein rich S chliemann s in Troja. Diese 
förderten nicht nur spektakuläre Funde zuta ge, sondern auch eine neue 
Sicht auf die griechisch e n Mythen: Das legendär e, von Homer in der 
Ilias besch ri ebene Troja wurde zum r ealen Ort, der mythische Trojani- 
sche Krieg zu einer schon damals umstrittene n historischen Begeben- 
heit. Hinzu kamen aktuelle Forschungen, in sbesonde r e durch Joh ann 
Jakob Bachofen, der in griechischen Myt hen unter anderem den Über- 
gang vom Ma triar chat zum Patriarchat v er arbeitet sah. Mit sein em 1861 
erstmals er schiene nen Hauptwerk Das Mutterr ech t stieß Bachofen die 
bis heute anhaltende Disk ussion über Geschl echt, Sexual ität und Macht 
an. Dies wie auch die Emanzipatio n der Frau im 19. Jahrhundert führten 
zu V erun sich eru ngen, von denen die zitierten Kritik en unterschwellig 
durchzogen sind. Nicht „weiblich“, anmutig oder mit sinnlich-üppigen 
Formen fa sste K linger die Göttinnen auf, sondern „männlich“ , mit ath le- 
tischen Körpern und mit b eiden Füßen am Boden stehen d. – Vor so viel 
selbstbewusster W eiblichkeit m ussten P aris, He rmes und die Zeitge- 
n ossen einfach zurücksc hr eck en. 
Trotz aller negativer Kritik, die sich um die Jahrhundertwende  –   
jetzt auch unter deutschtümelnden V orzeichen – ins Positive v erk ehrte: 
Klingers Urteil des Paris fand im Mäzen Alexander Hum mel einen 
Käufer. Klinger und der hochgebildete, aus wohlhabendem Haus stam- 
mende Hum mel ha tten sich 1890 in Rom k enn engelernt. Spätestens 
fünf Jahre spä ter befand sich Klinger s Urteil des Paris in Hummels 
Besitz, der es im August 1895 für eine Ausstell u ng nach Dr esden ver- 
lieh, 9 wo es mit einer goldenen Medaille a u sgezeichnet wur de. – Ver- 
gessen schien der Skandal, der 1887 den Ankauf des B ildes durch die 
Gemäldega lerie in ebenjener Stadt verhindert hat te. Ende des Jahres 
ließ Hummel es unter Klingers Aufsicht in sei ner Villa Eir ene in T riest 
aufstellen. Um es zu voller Wirku ng kommen zu lassen, wur den in den 
Raum keine weiteren Bilder gehängt. Begeistert äußerte sich Hum mel 
⟶ 
Abb. 6: Max Klinger, Christus im Olymp, 1897, Öl auf 
Leinwand, 549 × 965 cm, Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 433h 
(Dauerleihgabe im Museum der bildenden Künste Leipzig); 
Foto: Belvedere, Wien 
⟶ 
Abb. 7: Po stkarte aus Triest von Max Klinger, Ed. 
Ge risch und Alexander Hummel an Hugo Darnaut in Wien, 
12. März 1903: „‚Parisbild‘ wird soeben abgerüstet in Gegen- 
wart von H. Prof. Klinger u. Rat Gerisch. Herzlichste Grüße 
an Sie u. Ihre liebe Familie“ (Unterschriften), Archiv des 
Belvedere, Wien; Foto: Belvedere, Wien
	        
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