Full text: Künstlerische Folgen einer Steinigung. Franz Xaver Wagenschön und seine Vorbilder (Curator's Choice, Nr. 5, 2023)

GEORG LECHNER CURATOR‘S CHOICE 
# 5 / 2023 
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er heilige Stephanus, dessen Gedenktag der 26. Deze mber ist, 
gilt als der erste Märtyrer des C hristentum s und wird deme nt- 
sprechend als Erzmärtyrer bezeichnet. Sowohl der Wien er als auch der 
Pa ssauer Dom sind ihm geweiht. Gerade desha lb geni eßt der Heilige in 
di esen b eiden Bistümern hohes Ansehen, weshalb sich in dem Gebi et 
zwischen den zwei Stä dten zahlreiche Pfarrkirchen finden, die das Pa- 
trozinium des heiligen Stephanus tragen. In Nieder österr eich etwa, wo 
auch Franz Xaver Wagenschön im sakralen Bereich zahlreiche Aufträge 
ausführte, sind neben ander en jene von Amstetten, Baden, Biberbach , 
Eggenbu r g, Gmü nd, Mautern, Stockerau und Tulln zu erwähnen. 
Das hier im Fokus stehen de Gemälde wurde 1919 vom W iener 
Kunsthändler Dr. Otto Fröhlich (1873 – 1947) um 5000 Kronen für die 
damalige Österr eichische Sta atsg alerie erw orben (→ Abb. 1). Dies ist 
insofern bemerkenswert, als es damals noch keine eigenen Sammlungs- 
ber eiche für alte Kunst an der Österreichischen Sta atsg alerie gab. Erst 
1923 öffnete das Österr eichisch e Bar ockmu seum seine Pforten. Der 
Geschäftskontakt mit Fröhlich bestand im Übrigen – in sbesonder e was 
die Erwerbung von barocken Ölskizzen , aber auch von mittelalterlichen 
Tafeln anbelangt – ber eits seit 1912. 1 Zuvor befand sich das Werk in der 
Sammlung von Theodor (1866 – 1924) und Adele Fischel (1875 – 1943) 
in Wien, die durch Leo Planiscig (1887 – 1952) in einem 1914 er schiene- 
nen Beitr ag v or gestellt wurde. 2 Das Ehepaar Fischel besaß noch zwei 
weitere Werke von W agenschön, die ebenfalls durch P laniscig publizie rt 
wur den: eine Büßen de Magda lena sowie einen Heiligen Petrus, beide 
sign iert. 3 Diese beide n kleine n Gemälde waren bis zum bitter en Ende 
Teil der Sammlung von Adele Fischel, die spä ter auf grund ihrer jüdischen 
Herku nft ihr Eigentum verlor und nach Theresienstadt deportiert wur de, 
wo ihr Leben am 24. November 1943 ein Ende fand. 4 
Obgleich sich das hier zur Bespr echun g stehende Gemälde keines- 
wegs durch eine besonders skiz zenhaft e Malweise a u szeichnet, legen 
das v erhä ltnismäßig kleine F ormat und die oben angedeu tet e Abrun- 
dung erst ei nmal die V ermutun g nahe, dass es als v orber eitende Arbeit 
für ein Altarblatt gedacht war. T atsächlich b esteht ein enger komposi- 
to rischer Zusammenhang mit dem Hoc hal tarbild der Pfarrkirche von 
Kirchberg am Wagram. Dieses gilt jedoch auf grund einer entsprechen- 
den Bezeichnung als Werk von Carlo Innocenzo Carlone (1686 – 1775) 
und weist darüber hinaus auch eine Datierung in das Jahr 1712 auf. 5 
Hermann Voss zweif elte die Zuschr eibung an Carl one in einem Bei- 
trag zum frühen Schaffen des Künstlers in Österr eich an und hielt fest, 
dass es sich hierbei um ein Werk von Franz Xaver W agenschö n handelt. 
Dies begründete er zusätzlic h mit der Existen z eines signierten Ent- 
wurf s, der sich früher in Wi ener Priv a tbesitz befun den hat. 6 Er bezog 
sich dabei vermutlich – und ohne dies anzuführen – auf die Publikation 
von Pl aniscig und hatte keine Kenntnis dav on, dass das Werk bereits 
seit Jahrzehnten in musealem Besitz war. Mit ein Grund dafür mag 
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Abb. 1: Ei ntrag aus dem Inventarbuch der Österreichischen 
Galerie Belvedere; Foto: Belvedere, Wien 
1 Vgl. Belvedere, Wien, Inv.-Nrn. 1481, 1483 – 1486, 1748, 3212, 3222, 3223, 3348, 4845, 4846, 4951, 4959 und Lg 39. 
2 Leo Planiscig, „Die Sammlung Fischel, Wien“, in: Jahrbuch des kunsthistorischen Instituts der Zentralkommission, Bd. 8, 1914, Sp. 63 – 94. 
3 Beide Öl auf Kupfer, hochoval, 28,5 × 25 cm. – Planiscig 1914 (wie Anm. 2), S. 92f., Fig. 56 und 57. 
4 Sophie Lillie, Was einmal war. Handbuch der enteigneten Kunstsammlungen Wiens, Wien 2003, S. 361f. 
5 Vgl. Petra Suchy, Carlo Innocenzo Carlone in Niederösterreich, Diplomarbeit (unpubliziert), Wien 2008, unpaginiert [S. 69 – 71]. 
6 Hermann Voss, „Die Frühwerke von Carlo Carlone in Oesterreich“, in: Arte lombarda, 6. Jg., 1961, S. 238 – 255, hier: 252, 255, Anm. 2. D
	        
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