GEORG LECHNER CURATOR‘S CHOICE
# 5 / 2023
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Wagenschön hat sein Gemälde einigerm a ßen detail r eich ausgeführt,
wobei in sbesond er e auf das goldfarbene, mit floralem Muster bestick-
te Gewand des heiligen Stephanus hinzu w eisen ist. Letzter es unter-
scheidet sich deutlich vom Altarbild in Kirchberg, wo dieses in einem
de zenten Hell blau geha lten und mit goldenen Borten versehen ist. Die
Gruppe von Männ ern, die den Heiligen dir ekt umgeben, ist in be iden
Fällen sehr ähnlich, doch während etwa der Mann links bei Carlone von
einem r oten, in sei ner Draperie wenig natürlich er scheinen den Tuch
hinterf angen wird, hat W agenschö n bei der äquivalenten Figur darauf
verzichtet. Ein der artiges für den Hochbarock charakteristisches Detail
mag ihm, dem Vertreter des Spätbarock, nicht entsprochen haben. Und
während es in Kirchberg zu einem dichten Gewimmel an Figuren kommt,
erscheint das kleinere, spätere Bild diesbezüglich etwas r ed uzierter und
geor dneter . Diese Feststellung gilt auch für die Gruppe rund um die
Dreifaltigkeit in der ober en Bildzone, wo Carlone ein dichtes Konglome-
rat aus Figur en geschaffen hat, das den Him mel verdeckt. Insgesamt
tritt bei Wagenschön an die Stelle des horror vacui eine ausgewogene,
räumlich üb erzeugen de K omposition. Nicht zuletzt unterscheiden sich
auch die Figur entypen, wobei sie in W a genschöns Version urtüm l icher
er schein en. Zusammenfassend lässt sich erkennen, dass das klein e Bild
des Belvedere def initiv nicht als vorbereitende Arbe it für das Alt arbild
in Kirchberg einz ustuf en ist, sondern zumindest ein halbes Jahrhundert
spä ter geschaffen worden sein muss. Wagenschön ist zwar von Carlones
Bildschöpfung ausgegangen, hat diese j edoch stilistisch gesch ickt in
seine eigen e Zeit tr ansponiert.
Aufgrund der großen Nachfrage nach Darstellungen des Mart yri-
ums des heiligen Step hanus finde n sich auch in den Œuvres ber eits
damals prominenter Künstler Beispiele dafür , die für ihre K ol legen als
Vorbilder in Erw ägung zu ziehen sind. Zu erwähnen sind an di eser
Stelle Paul Troger (1698 – 1762), dessen Schüler W a genschön an der
Akademie in Wien war, Martin Jo hann Schmid t (1718 – 1801), bekannt
als der Kremser Schmidt, sowie Franz Anton Maulbertsc h (1724 – 96).
Soweit bekannt, blieb Letztgenanntem eine großformatige Ausführung
verwehrt, doch beschäftigte er sich eben so mit die sem Thema, was
durch ein kleinfo rm a tiges Gemälde in den Sammlungen des Belvedere
belegt wird (→ Abb. 2). Wie Monika Dachs feststellen konnte, hat
Maulbertsc h damit um 1782/83 einen Ricor do nach einem Seitenaltar-
bild aus dem 17. Jahrhundert im Dom von Győr gescha ffen. 10 Komposi-
to risch er scheint diese Dar st ellung im V ergleich mit der V er sion von
Wagenschön k onz entrierter . Der heilige Stephanus wendet sich in die
andere Richtung, doch sind die ihn umgebenden Gestalten hinsichtl ich
der V arietä t gut ver gleichbar . Insbesondere jener Mann, der den Stein
mit beid en Hände n über seine m Kopf hält, ist eine Figur, die in gerin g-
fügigen Abw andlungen zu einem f esten B estandteil von Darstellungen
der Stephansmarter geworden ist. Dieses ikonografische Detail lässt
sich ber eits im Spätmittelalter nach weisen – so etwa in einem um 1430
zu datierenden Blatt des Meisters des Kalvarienberges.
10 Monika Dach s, Franz Anton Maulbertsch und sein Kreis. Studien zur Wiener Malerei in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, 3 Bde., Habilitationsschrift
(unpubliziert), Wien 2003, Bd. 1, S. 269, Nr. 117a.
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Abb. 3: Werkstatt des Martin Johann Schmidt, Steinigung
des heiligen Stephanus, um 1780, Öl auf Leinwand, 73 × 43 cm,
Belvedere, Wien, Inv.-Nr. 4074; Foto: Johannes Stoll /
Belvedere, Wien Wien